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Der Weg durch den Wald, an bizarren Felsformationen entlang,
unter mächtigen Tannen dem Grobbach entgegen, nahm die beiden
Wanderer gefangen. Turgenjew erzählte, lebhaft und anschaulich,
verstand es mit eigentümlichem Zauber, in kurzen Strichen
Menschen und Ereignisse wiederzugeben. Erst nach dem
großartigen Blick von der Badener Höhe ins Tal hinab wandte
sich die Plauderei gewichtigen Themen zu. Von Mutter Natur
tief inspiriert, lobte Turgenjew in höchsten Tönen Madame
Bovary. Storm schwieg, hatte er den Band doch nicht gelesen,
auch wenn er seine Franzosen en général wohl kannte. »Es
ist mir doch zu stofflich, das Vereinzelte zu wenig zu lebendigen
Scenen verarbeitet. Ich bedarf auch in der Novelle ein wenig
dramatisches Leben.«
»Nun
sagen Sie bloß nicht, Ihr Husum sprühe vor Lebendigkeit!«
»Der
Schalk schwingt in Ihrer Rede mit, werter Freund, und angesichts
der biederen Beschaulichkeit hier und in Ihren Werken -
nein, brausen Sie nicht auf, es geht ums Colorit, ums Hintergrundgemälde
des Erzählens hier - ja, angesichts der Abwesenheit selbst
der doch sprichwörtlich russischen Winter in Ihren Werken,
da möcht' Ihnen Husum grau und triste und weit vom gewöhnlichen
Menschenverkehr scheinen.«
»Doch
Sie zieht's hin und kaum sind Sie einmal fort, da flammt
die Sehnsucht auf. Warum nur, teurer Freund?«
Und
Storm schwärmte von Möwen über Krabbenkuttern, von Gischt
und Brandung, von Stunden unter Sandregenpfeifern, Säbelschnäblern,
Austernfischern im uferlosen Watt, von verwitterten Gesichtern
hinter struppigen Bärten, von einst grazilen Frauen, die
Hände ledern gegerbt von Arbeit und Enttäuschung, von Landunter
auf der Hallig und langen Winterabenden im Koog - da war
er in seinem Element und übersah gern das Lächeln in den
Augenwinkeln des gütigen russischen Freundes.
»Ja,
all das spricht aus Ihren Werken. Gemeinsam ist uns doch
das Interesse an den Menschen, an Ihrem oft so vergeblichen
Kampf gegen das Wirken der Welten- und Schicksalsgewalten.«
Turgenjew ließ den Blick über die sanften Hügel schweifen.
»Mag sein«, setzte er dann hinzu, »dass,
mehr als uns bewusst, die Handschrift eines jeden von uns
aber doch von der Natur geprägt ist, die er täglich sieht,
vor dem Fenster, auf den Spaziergängen und auch vor dem
inneren Auge als ein Ideal.«
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2005
© by Sabine Adatepe
Dieselbe
Autorin hat einen weiteren interessanten Text verfasst -
für das 20. Jh.:
B
e g i n n e i n e r F r e u n d
s c h a f t
von S a b i n e A d at e p e
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www.sabineadatepe.com
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