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Rezension: → Ahmadou Kourouma - Allah muss nicht gerecht sein

Roman eines Schicksallosen

Ahmadou Kourouma aus der Elfenbeinküste schreibt über Kindersoldaten

Von Manfred Loimeier (©)

Er gilt als der Voltaire Afrikas und hat für seinen nun ins Deutsche übersetzten Roman Allah muss nicht gerecht sein in Frankreich sowohl den Prix Goncourt des Lycéens als auch den renommierten Prix Renaudot erhalten. Selbst hier zu Lande ist der Schriftsteller Ahmadou Kourouma aus der zurzeit von politischen Turbulenzen erschütterten Elfenbeinküste nicht unbekannt. Kouroumas Debütroman Der schwarze Fürst über die neokolonialistischen Regimes in Afrika erschien schon Ende der 70er Jahre in einer ost- und einer westdeutschen Ausgabe, und Kouroumas Opus Magnus über den Typus des afrikanischen Diktators kam unter dem Titel Die Nächte des großen Jägers vor zwei Jahren* gebunden und in diesem Frühjahr als Taschenbuchausgabe heraus.

Das jüngste Werk des immerhin bald 75-jährigen Aufklärers Kourouma ist den Bürgerkriegen im westlichen Afrika gewidmet, genauer: den Kindersoldaten in Liberia und Sierra Leone. Nun weiß man aus Reportagen und Nachrichten schon allerhand über die grausamen Praktiken der Verschleppung und des militärischen Drills, so dass man sich eine literarische Gestaltung dieses gewichtigen Stoffs als nicht ganz leicht vorstellt. Kourouma, der bis zu seiner Pensionierung als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft tätig war, schlüpft indessen in die Figur eines kleinen Jungen. Dieser gerät, als Waise auf der Suche nach seiner Tante, in die Wirren des Bürgerkriegs, der unübersichtlichen Fronten und der diversen Rebellenrivalitäten.

In einer schnodderig-jugendlichen, fast derb-gossenhaften Sprache schildert Kourouma aus der naiven Sicht des zunehmend verrohenden Jungen Birahima, wie Massaker geplant und umgesetzt werden, wie neue Kinder rekrutiert, gezüchtigt und geopfert werden - ohne dass irgendeiner der Akteure jemals verstünde, worum es eigentlich geht.

Das Bemerkenswerte an dieser grausamen Odyssee ist, dass sich die Beschreibung dieser letztlich fast erfolgreichen Suche auf den Schlachtfeldern Westafrikas nach Birahimas Tante keineswegs voller Abscheu, sondern fesselnd und spannend liest. Weil Kouroumas Sprache so alltäglich und persönlich ist, so mündlich daherkommt wie in einem Radiointerview, lässt man sich die Zumutungen brutalster Szenerien gefallen und denkt vielleicht entfernt an die kindliche Sicht auf Auschwitz, die der jüngste Literaturnobelpreisträger Imre Kertész in seinem Roman eines Schicksallosen an den Tag legte.

Dieses Spiel Kouroumas mit der Sprache, seine Literarisierung eines in Wortschatz und Grammatik umgangssprachlichen und afrikanisierten Französisch zeichnet übrigens schon Kouroumas Erstling Der schwarze Fürst aus, weshalb das Buch damals, 1968, von französischen Verlagen abgelehnt und stattdessen zuerst in Kanada publiziert worden war.

In Allah muss nicht gerecht sein ironisiert Kourouma derlei Sprachpurismus, indem er Birahima vier Französisch-Wörterbücher zur Hand gibt, um unklare Ausdrücke in sauberes Standardfranzösisch zu übertragen. Vor allen Dingen aber informiert Kourouma wie beiläufig den Leser über die Rebellenorganisationen in Liberia und Sierra Leone, über die Rolle des Drogen-, Waffen- und Diamantenschmuggels. Was immer man in der nicht anders als furios möglichen Lektüre über die psychischen Deformierungen der Kindersoldaten in Afrika bisher hörte - Kourouma gibt mit Birahima ein überraschend sympathisches Beispiel eines solchen Schicksals und erinnert dabei an den humanen Kern dieses bis zur unerbittlichen Hartherzigkeit entstellten Jungen.

Mit diesem menschlichen Zug bleibt Kourouma in der Tradition seines Vorläufer-Romans über afrikanische Diktatoren, denn auch in Die Nächte des großen Jägers machte Kourouma nicht vor den Abscheulichkeiten einer tyrannischen Herrschaft Halt, zeigte jedoch den Despoten als netten, verständigen Herren - und warnte damit vor dem Phänomen, dass selbst aufgeklärteste Personen nicht davor gefeit scheinen, in den politischen Systemen Afrikas schnell und unwiderruflich die Grenze zwischen Macht und Gewalt aus den Augen zu verlieren.

Kourouma speist seinen Sarkasmus im Übrigen aus eigener Erfahrung, musste er doch 1972 wegen eines umstrittenen Theaterstücks über politische Intrigen für rund zwanzig Jahre ins Exil. Er arbeitete in Algerien und Kamerun, in Frankreich und Togo, und lebt erst seit 1993 wieder in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste.

Ahmadou Kourouma: Allah muss nicht gerecht sein. Aus dem Französischen von Sabine Herting. Knaus, 223 Seiten, 20,50 Euro.

(Originaltitel: Allah n'est pas obligé)

* verfasst 2002, für die Marabout-Seite übernommen 11/2003
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