DIE MARABOUT-SEITE
linie

linie
linie

Chronik (1901-2019)

Zur Sozial- und Literaturgeschichte Afrikas * von innen und außen 

Tageschronik: 15. August 2004

 

· Die MARABOUT-SEITE zitiert aus Nigeria ·  
VANGUARD, Nigeria


"Was den Sex angeht, sind wir nur Possenreißer - Meine Antwort" von  Chimamanda Ngozi Adichie

Unter diesem Titel bringt die englischsprachige Tageszeitung VANGUARD aus  Nigeria den Text einer Gegendarstellung zu einem Interview, dass die Autorin des Orange-Prize-nominierten Romans Purple Hibiscus Chimamanda Ngozi Adichie den, wie sie hier bezeichnet werden, "Glitterati-Seiten" der ebenfalls nigerianischen Tageszeitung THISDAY gegeben hat. In dem bewussten Interview vom 1. Aug. 2004 seien ihr vom Interviewer, Chude Jideonwu, Behauptungen unterstellt worden, die sie klären wolle, da sie sich falsch dargestellt fühlt.

Es folgt der Text der Autorin ohne Kommentar oder erkennbare Auslassungen von VANGUARD.

"Ich scheue vor dem Thema Sex nicht zurück", schreibt Chimamanda Ngozi Adichie, die weiter unten im Text Wert auf die vollständige Schreibweise ihres Namens legt. "Ich denke für uns als Gesellschaft ist es wichtig, Dinge anzusprechen, wie die Doppelzüngigkeit unserer sexualisierten Politik, die Art und Weise, wie wir geschlechtsabhängige doppelte Standards bezüglich Untreue haben, die Art, wie wir heuchlerisch Punkte wie sexuelle Bildung moralisieren und dadurch unseren jungen Menschen das lebensrettende Wissen vorenthalten, das sie benötigen, die Art wie wir flüchtig gelegentlichen Sex akzeptieren und behaupten, dies nicht zu tun und am wichtigsten die AIDS-Geißel."

Sie empfinde es als beleidigend, wenn Sex abwertend benutzt und ihr zugeschrieben werde. "Ich habe gesagt, wobei ich einen Unterschied gemacht habe zwischen erotischer Kunst und Pornographie, dass unsere Haltung gegenüber Sex in Nigeria oft so heuchlerisch ist und deshalb jeglichen ernsthaften Dialog blockiert. Ich habe auch von unserer vom Christentum herrührenden Prüderie gesprochen, die es in vorkolonialer Zeit nicht gab."

Sie sei schockiert gewesen auf dem Cover der Glitterati-Zeitung vom 1. Aug. 2004 stehen zu sehen: "Chimamanda Ngozi Adichie erklärt - Was den Sex angeht, sind wir Possenreißer. Ich fand es nicht nur vulgär und irreführend, sondern auch unethisch. Es war vulgär und irreführend, weil es sensationalisiert wurde und in einer Weise ohne Zusammenhang zitiert, die den Leser offensichtlich absichtlich irreführen sollte."

Chimamanda Ngozi Adichie habe inzwischen von einigen Freunden gehört, sie hätten spontan, als sie die Schlagzeile sahen, angenommen, sie habe gesagt, die Nigerianer seien komisch beim Sex. Sie fährt fort: "Und es war unethisch, weil es nicht die von Chude Jideonwo, mit dem ich das Interview machte, ursprünglich geschriebene Schlagzeile war, das Zitat selbst war nicht in dem Abschlussskript des Interviews. Ich machte das Interview mit Chude Jideonwo unter der Bedingung, dass ich die Kopie durchsehen könnte, um zu sehen, ob ich richtig zitiert worden war. (Ich bin vorsichtig geworden, seit ich mit einem nigerianischen Schriftsteller in den USA gesprochen hatte, der mich mit Dingen zitierte, die ich nicht gesagt hatte, sich aber später entschuldigte)."

Der Interviewer Chude und sie hätten auf einer Veranda zusammen geredet, wobei sie auf die lärmige Straße blickten, "und als er mir einen Tag später die Kopie gab, sagte er, auf dem Band sei so viel Lärm mit drauf, dass viele Teile verfälscht seien. Deswegen, so sagte er, habe er vielleicht einige Dinge unrichtig übertragen. Er hatte. Ich korrigierte faktische Fehler genauso wie Teile, bei denen ich dachte, es fehlten Sätze. Ich bat darum, Sätze zu löschen, bei denen die Wörter nicht nach mir klangen oder wo zu wenige Wörter da waren, um die Bedeutung deutlich werden zu lassen."

Eine solche Stelle sei das Zitat gewesen: "Ich bin mir nicht sicher, vielleicht sind wir alle nur Possenreißer". Chude habe den Korrekturen zugestimmt und der Autorin versichert, dass sie übernommen würden. Die Glitterati-Zeitung sei drauflos gegangen und habe die einfachsten Regeln des Journalismus gebrochen, "sie publizierte die ungenau übertragene Version, mit einigen Zufügungen, bei denen ich mich nicht erinnern kann, sie im Original gesehen zu haben (solche wie den Teil über Farafina, meinen nigerianischer Verlag)."

Sie sei mit Dingen zitiert worden, "die ich nie gesagt habe (Beispiel - 'Ich hatte niemals das Gefühl, dass mein Vater sich so verhielt, als sei es vollkommen normal, dass Frauen jeden Morgen mit ihren Männern aufstehen und zur Arbeit gehen' und 'bittest du sie, nicht buchstäblich zu übersetzen, erkennen sie nicht, warum' keines von denen macht Sinn, nicht mal im schlecht gemachten Teil)".

Sie sei mit Ausdrücken und einer mangelhaften Grammatik zitiert worden, die sie niemals benutzt hätte (Beispiele - "sie wurde Eigentum wie ein Stuhl" und "ich will es nur nicht irgendwie tun"). "Einige Teile des Interviews", sagt sie weiter, "wurden weggelassen, was meine Antworten oft unsinnig erscheinen ließ (besonders auf die Frage: 'Kennen Sie einen solchen Mann?' und 'Aber die meisten jungen Schriftsteller empfinden es als Last, so zu sein')".

"Ich wurde zitiert, ich hätte gesagt, mein Vater, der 72 ist, wäre 75. Ich wurde permanent als Ngozi Adichie bezeichnet und nicht als Chimamanda Ngozi Adichie, was ich ganz klar als meine Präferenz bezeichnet habe."

Sie habe ihren Großvater nicht mit der Aussage zitiert, "dass Männer ihre Penisse entblößen. Das Igbo-Wort 'ichighali' heißt nicht 'entblößen', sondern vielmehr 'verhüllen' [mehrdeutig im Original: 'holding'. J.K.]. Ich legte Wert darauf, die Igbo-Haltung in Bezug auf Sinnlichkeit in der Vergangenheit und in der Gegenwart zu unterscheiden. Wegen der mangelhaften Übersetzung, die nicht von mir abgesegnet wurde, ist der ganze Inhalt verloren gegangen und wurde fast schmutzig. Kluge Leute werden wissen, dass Igbo-Männer ihre Penisse in vorkolonialen Zeiten ganz und gar nicht entblößt haben und ein solches Zitat, und andere in diesem Text, könnten sehr gut meine Glaubwürdigkeit beschädigen. Ich habe strenge Ansichten, für die ich mich nicht entschuldige. Jedoch muss ich deutlich sagen, dass diese Ansichten korrekt artikuliert werden, so dass ich für sie einstehen und sie als meine verteidigen kann, wenn ich muss."

Sie bereue es nun zutiefst, der Glitterati-Zeitung ein Interview gegeben zu haben. "Meine Reaktion wäre vielleicht anders, wenn ich die Kopie nicht gesehen hätte, bevor sie in Druck ging - Ich hätte vielleicht versucht die Ungenauigkeiten, die ordnungsgemäß von mir und dem Journalisten abgestimmt gewesen wären, zu entschuldigen. Jedoch veröffentlichte die Glitterati-Zeitung wissentlich eine ungenaue Fassung. Diese Absicht deutet auf das eigennützige Bedürfnis, die Zeitung zu verkaufen, bestenfalls auch auf Kosten der Wahrheit, schlimmstenfalls mit böser Absicht. Aber hier geht es nicht nur um mich und meine ärgerliche Enttäuschung mit der Glitterati-Zeitung.
Hier geht es um ein weiteres Beispiel, wie wir fortfahren die Hürden der Akzeptanz und der Verewigung von Mittelmaß zu senken. Es liegt an uns, den Bürgern und Lesern, zu sagen 'genug', an die Zeitungsherausgeber zu schreiben, wenn eine Schlagzeile irreführend war, es liegt an uns, mangelhaft redigierte Publikationen nicht zu kaufen."

"Auch liegt es an uns Interviewten zu reagieren, wenn wir sinnwidrig aus dem Zusammenhang zitiert werden, so werden die Herausgeber vielleicht entscheiden, eine bessere Arbeit zu tun, wissend, dass es Konsequenzen für unprofessionelle Führung und Schlampigkeit gibt. Wir starren auf die Vorzüge des Auslands. Es ist wichtig für uns, uns daran zu erinnern, dass diese Länder durch bestimmte Prinzipien Erfolg erlangt haben - eines davon ist, die Medien auf einem hohen Standard zu halten. ka udo di, ka ndu di..." [Wer kann bei der Übersetzung dieses letzten -vermutlich Igbo - Ausdrucks helfen?! J.K.]. · (Vanguard, Nigeria, ÜEK: J.K.)

linie

Quelle:
Vanguard, englischspr. nigerian. Tageszeitung (Vanguard)

Anmerkungen:
* inkl. arabischer Raum
ÜEK: J.K. --> Aus dem Englischen übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus ©


linie
Weitere Artikel zu  Nigeria in der Afrika-Chronik:
linie
linie