Ägypten
Furcht
wächst angesichts des Anstiegs von vermissten Kindern,
heißt es in einer Meldung von Adam Morrow und Khaled
Moussa für den Internationalen Presseservice IPS (Inter
Press Service).
Kairo
15. Mai
Eine
Flut von Berichten über vermisste Kinder versetze das
ländliche Ägypten in Alarmzustand. Die Angst werde von
Berichten sowie von Gerüchten geschürt.
"Provinzen
wegen Kidnapping-Gerüchten in
heller Aufregung; jeden
Tag mehr Geschichten von vermissten Kindern", heiße
die Schlagzeile der unabhängigen Tageszeitung Al-Dustour
vom 1. Mai.
Vier
Monate seien es nun, heißt es einleitend, dass die unabhängige
Presse über das Verschwinden von kleinen Kindern berichtet
habe, meist in den ländlichen Provinzen
→ Ägyptens.
"Am 11. April verschwanden zwei Kinder ohne eine Spur
in der Sharqiya Provinz; am 28 April sind vier kleine Kinder
- drei von ihnen unter sechs Jahren alt - in der nördlichen
Stadt Mansoura als vermisst gemeldet worden". Dutzende
von anderen Fällen seien in diesem Zeitraum gemeldet
worden.
Gemäß
den zitierten Quellen der Lokalpresse, heißt es in dem
Bericht weiter, seien die meisten Fälle in den vier Delta-Provinzen
- Daqliya, Qalioubiya, Sharqiya und Gharbia - sowie in den
oberägyptischen Provinzen Minya und Beni Sueif aufgetreten.
Präzise Zahlen seien schwierig zu ermitteln, "aber
zehn Kinder verschwanden allein im März in der oberägyptischen
Stadt Sohag, südlich von Minya".
"Die
Straßen von Sharqiya sind gepflastert mit Fotos vermisster
Kinder, während Schulen wegen der Angst vor Kidnapping
Abwesenheitsraten bis zu 70 % zu verzeichnen haben",
habe Al-Dustour am 17. April berichtet. "Imame der lokalen
Moscheen warnen Eltern davor, ihre Kinder unbeaufsichtigt
zu lassen."
Das
Ausmaß des Verschwindens habe zu großen Ängsten
bei den Eltern geführt. "Ich habe Angst, meine Kinder
aus dem Auge zu verlieren", erzählt Maha Zaki, Mutter
von drei Kindern nördlich von Kairo gegenüber IPS.
"Die Polizei schafft es nicht, unsere Kinder vor dem
Kidnapping, das auf dem Lande und in der Umgegend von Kairo
weit verbreitet ist, zu bewahren." Sie selbst habe in
ihrer Nachbarschaft einen Kidnappingversuch, der von Passanten
vereitelt worden sei, beobachtet.
Rabab Mahmoud, Mutter von zwei Kindern aus dem Randgebiet
der Hauptstadt, sei ebenfalls besorgt wegen der kürzlichen
Berichte von vermissten Kindern. "Wir brauchen mehr Sicherheit
und Polizei, um unsere Söhne und Töchter vor dieser
Plage zu beschützen".
Nach
Angaben von offiziellen Regierungsvertretern würde das
Problem, "angefacht durch Gerüchte und Hörensagen",
aufgebauscht.
"Wir
hören tägliche Berichte von vermissten Kindern,
aber das stellt nicht per se eine 'Welle' von Kindesraub dar",
so der stellvertretende ägypt. Innenminister Gen. Hamed
Rashed.
"Wir setzen unsere Kultur der Panikmache aus, die allein
schon eine Bedrohung der Stabilität darstellen kann".
Am
17. April sei der Sicherheitschef von Sharqiya mit der Aussage
zitiert worden, die Behauptungen einer Welle von Kidnapping
seien "nichts als Gerüchte und Märchen in der
Öffentlichkeit".
Unabhängige
Beobachter jedoch hinterfragten die offiziellen Versicherungen,
indem sie angeben, dass die Zahl der Fälle von vermissten
Kindern zusehends ansteigt.
"Es gibt einen ernsthaften Mangel von verlässlichen
Statistiken zu diesem Phänomen, aber es hat sich definitiv
in den letzten Jahren weiter verbreitet", habe sich Hafez
Abu Saeda IPS gegenüber geäußert, er ist Generalsekretär
der in Kairo ansässigen ägyptischen Menschenrechtsorganisation
Egyptian Organisation for Human Rights, einer Nichtregierungsorganisation.
Nach seinem Dafürhalten würden gekidnappte Kinder
letztlich für kriminelle Aktivitäten ausgebeutet.
"In
den meisten Fällen werden Kinder gekidnapped, um in kriminellen
Gruppen, Gangs von Bettlern und Dieben oder Drogendealern
eingesetzt zu werden oder zur Prostitution und sexuellen Ausbeutung",
wird Abu Saeda weiter zitiert. "Natürlich handelt
es sich in vielen Fällen einfach nur darum, dass Kinder
von zu Hause weglaufen, wegen häuslicher Probleme oder
als Folge einer persönlichen Vendetta - nicht unüblich
auf dem ägyptischen Lande."
Offizielle
Versuche, die Angelegenheit herunterzuspielen, würden
von Abu Saeda kritisiert, heißt es in dem Bericht weiter.
Die
Behauptung der Regierung, dass alles 'bloß Gerüchte'
seien, würden von der Öffentlichkeit "generell nicht
geglaubt".
Fediya
Abu Shohba, Dozent für Kriminalrecht am National Centre
for Social and Criminal Research in Kairo, stimme darin überein,
dass der Trend sich mehr und mehr ausweite. Das Verschwinden
von Kindern sei in den letzten fünf Jahren schnell angewachsen,
aber erst im Verlaufe des letzten Jahres sei es akut geworden.
Und wenn ein Kind verschwinde - und nicht zurückkomme
- heißt das gewöhnlich, dass es gekidnapped wurde."
"Das
Überhandnehmen dieses Phänomens kann verschiedenen sozialen
Faktoren zugeschrieben werden", wird Abu Shohba mit seinen
Ausführungen zitiert. "Dies schließt mit
ein das Anwachsen von
ungeschützten Kindern, die auf der Straße leben,
die wegen des ökonomischen Drucks abnehmende elterliche
Fürsorge, den Zerfall von traditionellen religiösen
Werten und die Förderung von Gewalt und Kriminalität
durch die Massenmedien".
Das
Problem sollte laut Abu Shohba jedoch nicht einfach der Armut
angekreidet werden. "Ägypten hatte immer einen Anteil
von extremer Armut, aber in solcher Zahl wie heute sind Kinder
nicht verschwunden."
Am
1. Mai, habe die Lokalpresse berichtet, dass der enthauptete
und übel zugerichtete Leichnam eines seit Februar vermissten,
16-jährigen Jungen in Daqliya gefunden worden sei. Der
Zwischenfall habe zur wachsenden Spekulation beigetragen,
wonach Kinder wegen ihrer Organe gekidnapped würden,
um diese an reiche ausländische Kunden für medizinische
Zwecke zu verkaufen.
Abu
Saeda schließe jedoch Organhandel als ein mögliches
Motiv des momentanen Anwachsens von Kidnapping aus, kommt
abschließend der Generalsekretär der ägyptischen
Menschenrechtsorganisation erneut und ausführlich zu
Wort:
"Dies würde ein extrem fortgeschrittenes medizinisches
Wissen erfordern - vielleicht sogar das Vorhandensein eines
voll ausgestatteten Hospitals. Ich bezweifle ernsthaft, dass
Banden von Organhändlern in Ägypten ein solches Niveau
von Raffinesse erlangt haben. Das Phänomen der verschwindenden
Kinder muss untersucht und besser verstanden werden. Um Fakten
von grundlosen Gerüchten unterscheiden zu können,
muss ein Aktionsplan in voller Abstimmung zwischen Sicherheitseinrichtungen
und lokalen Ermittlern entworfen werden".
·
(IPS, ÜE: J.K.)
Quelle:
IPS
- Inter Press Service, Internationale Presseagentur mit Schwerpunkt
Entwicklungsländer, Zivilgesellschaft und Globalisierung.
Anmerkungen:
*
inkl. arabischer Raum
ÜEK: J.K. --> Aus
dem Englischen Übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus
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