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Rezension: → Alaa al-Aswani - Der Automobilclub von KairoIm Notfall doppelt besetzt
Wie in seinem berühmtesten Werk Der Jakubijân-Bau präsentiert der Autor Alaa al-Aswani auch mit seinem neuesten Roman Der Automobilclub von Kairo einen Mikrokosmos, der Einblick in das gesellschaftliche Sozialgefüge seiner ägyptischen Heimat erlaubt. Während beim Jakubijân-Bau der Fokus auf einem Wohnblock mit seinen heutigen Bewohnern liegt, rückt mit dem Kairoer Automobilclub ein Etablissement in den Vordergrund, das von Beginn an für die Oberschicht reserviert ist. Zu den illustren Gästen zählen – der Leser wird weit ins vergangene Jahrhundert katapultiert – die Honoratioren der Stadt, Vertreter der englischen Besatzer, darunter der Direktor James Wright, und der König selbst. Doch al-Aswani wäre nicht al-Aswani brächte er dem Leser nicht auch die Sorgen, die Bedrängnisse, aber auch die Gewitztheit unterer Schichten näher. Deren Vertreter sind es, die für das Wohl der Besucher zu sorgen haben; vom Barmann über den Lagerverwalter, vom Koch bis zum Türsteher. Selbst diese bescheidenste unter den geringfügigen Anstellungen erfährt zeitweise eine doppelte Besetzung, geschuldet der außerordentlichen Not der Bediensteten, die wie in diesem Fall für die bloße Aussicht auf ein minimales Trinkgeld auf ihrem Posten verweilen. Halb vom eigentlichen Türsteher verdeckt, hält ein zweiter sich bereit, um – wann immer nötig oder eigentlich: möglich - einzuspringen. Der sich hier in den Hintergrund duckt, dem behagt diese Haltung überhaupt nicht: Es ist eine der Hauptfiguren des Romans, das Oberhaupt der stolzen Familie Gaafar, eingewandert aus Oberägypten, um der Armut zu entgehen. Doch auch die Zwangslage vermag es nicht, die Würde dieser Familie entscheidend anzukratzen, insbesondere die des Oberhauptes Abdalasîs Gaafar und seiner Gattin Um Saîd. Sie, die sich einst für den ganzen Stamm verantwortlich fühlten und auch jetzt noch verarmte Verwandte in ihrer Kairoer Wohnung aufnehmen und verköstigen, obwohl sie selbst längst die Not am eigenen Leibe spüren. Abdalasîs hat eine Hilfstätigkeit im Lager des noblen Automobilclubs aufgenommen, eine gering geschätzte und zudem noch schlecht entlohnte Arbeit, sodass er sich gezwungen sieht – die Ausbildungskosten seiner vier Kinder sind immens – dem Türsteher beiseitezustehen; ein Entgegenkommen von diesem, bedeutet es doch, dass für ihn selbst weniger Trinkgeld übrigbleibt. Ja, es gibt so etwas wie Mitgefühl, wie Solidarität unter den Bediensteten des Clubs, allerdings ist sie nur selten anzutreffen. Die Geschichte des Automobilclubs und der Familie Gaafar sind eng miteinander verknüpft, da zunächst das Oberhaupt und nach seinem Tod zwei seiner Söhne dort Anstellung finden. Wie im Privaten, wo es jene Teile gibt, die stets versuchen, das Wohl des Ganzen im Blick zu behalten und daneben jene, die zuallererst und nahezu ausschließlich an sich selbst denken, so sind diese beiden Pole inklusive aller Schattierungen auch unter der Belegschaft des Automobilclubs anzutreffen, dessen Führung die Geschäfte mit eiserner Knute leitet. Da ist zum einen der Direktor, der aus seiner geringschätzigen Meinung den Einheimischen gegenüber keinen Hehl macht und zum anderen Kô, der für das Personal Verantwortliche. Da dessen Zuständigkeitsbereich den Königlichen Palast einschließt, ist sein Einfluss enorm, sodass seine Maßnahmen in ihrer Willkür, die auch vor körperlicher Züchtigung nicht Halt machen, eher ans Mittelalter erinnern, als eine moderne Institution wie sie der Königliche Automobilclub Ende der 40er Jahre seinem äußeren Anschein nach, in Pracht und Ausstattung sowie mit seinem exzellenten Service erweckt. Solange die Alltagsroutine nicht gestört wird, läuft alles nach Plan. Doch plötzlich taucht Widerspruch unter den Bediensteten auf. Da ist ein gewisser Abdûn, der Gehilfe des Barmanns, der – was bildet sich dieses Nichts ein?! – die Züchtigung eines Angestellten zum Anlass nimmt, Stellung gegen den allmächtigen Kô zu beziehen. Nur wenige der Bediensteten haben den Mut, ihm zu folgen. Auch als einige Todesfälle in ihren Reihen mehrere Familien, darunter die Familie Gaafar, in äußerste Not stürzen, da eine Rente, wie von den Witwen beansprucht, vom Automobilclub kategorisch abgelehnt wird, hält sich die Kritik an der Leitung in engen Grenzen; zu groß ist die Angst der Bediensteten vor dem als Despot empfundenen Kô. Die Ereignisse eskalieren, als der kleinere, sich seiner Interessen bewusst werdende Teil der Belegschaft von außen Unterstützung erfährt. Besagter Abdûn und Kâmil, einer der beiden angestellten Gaafar-Söhne, sind Mitglieder einer der Wafd-Partei nahe stehenden Widerstandszelle, deren politische Opposition vor allem auf die royale Korruption abzielt. Faruq I., König Ägyptens und des Sudan, nebst Kabinett gehört zu den Stammgästen im Automobilclub und sein Verhalten mutet selten königlich an. Erzählerisch wird das Handlungsgeflecht vielstimmig inszeniert. Zunächst reflektiert der Ich-Erzähler seine erhabenen Gefühle in dem Moment, als sein Werk – durch Ausdruck eines ersten Exemplars auf Papier – dem bloß virtuellen Dasein entrissen werden soll. Doch bevor es soweit ist, erhält er Besuch: Gekleidet im Stil der 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts präsentieren sich ihm zwei seiner Figuren, ein Geschwisterpaar der Familie Gaafar: Sâliha und Kâmil. Eigenartigerweise wehrt sich der Ich-Erzähler gegen ihre Gegenwart und misstraut ihrer Identität. Als wüsste er nicht, dass im Prozess des Schreibens mit wahrer Persönlichkeit ausgestattete Figuren autonom werden können und im Zuge ihrer Selbstfindung dem Autor die Beschaffenheit ihres zukünftigen Wegs vorzuschreiben beginnen. Jedenfalls überreichen die Beiden dem Ich-Erzähler ihre Stimmen in Form einer CD. Der Rahmen ist gesteckt, die Erzählung beginnt von Neuem. Von nun an bringt ein auktorialer Erzähler dem Leser in der dritten Person den größten Teil des Inhalts nahe. An seiner Seite stehen zwei Ich-Erzähler, eben jene Besucher, Kâmil und Sâliha. Strukturell gesehen erweist sich dies als eine kluge Maßnahme des Autors – mal abgesehen von der Tatsache, dass beide als Sympathieträger und Identifikationsfiguren daherkommen –, da sie eine enorme Erleichterung hinsichtlich des Überblicks über die große Schar von Handelnden mit sich bringt. Die Sprache ist unkompliziert und in sexueller Hinsicht freizügig, wie sie sich schon im oben erwähnten Roman Der Jakubijân-Bau darbot. Seine Stärken entfaltet der Roman in der Ausgestaltung der negativen Eigenschaften seiner Figuren wie Unterwürfigkeit und Duckmäusertum; hier erinnert Der Automobilclub von Kairo an die Romane des größten ägyptischen Schriftstellers, des verstorbenen Nobelpreisträgers Nagib Machfus, ohne jedoch in der Breite deren Tiefe zu erreichen.
10/2015 © by Janko Kozmus
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Rezension zu einem weiteren Werk desselben Autors: Alaa al-Aswani: Auf jeder Etage eine Überraschung (zu: Der Jakubijân-Bau) |
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