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Rezension: → Yasmina Khadra - Wovon die Wölfe träumen

Stoßgebet eines Mörders

Als Yasmina Khadra Wovon die Wölfe träumen im Jahre 1999 in Frankreich veröffentlichte, ahnte noch niemand, dass sich hinter dem Frauennamen ein Offizier der algerischen Armee verbarg. Drei Jahre später erscheint die deutsche Übersetzung. Geschlecht und wahre Identität sind gelüftet; die Leserschaft ist nicht mehr in dem Maße überrascht und schockiert vom detaillierten Wissen, das der Erzählung von Mohammed Moulessehoul geradezu schmerzhafte Authentizität verleiht.

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WOVON DIE WÖLFE TRÄUMEN
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Nachdem Yasmina Khadra mit den Kommissar-Llob Büchern die eine, die Seite der Verbrechensbekämpfung dargestellt hat, leistet er nun einen Beitrag zum Verständnis der Psychologie eines - islamistischen - Gewalttäters. Gleich zu Beginn erschreckt dieser Einblick, man ist versucht, das Buch einfach beiseite zu legen: Ein Mann mit gezücktem Messer in offensichtlicher Absicht fleht einen Engel herbei, ihm in den Arm zu fahren. Auf die Antwort darauf, ob diese Bitte erfüllt wird, muss der Leser bis zum Ende des Romans warten.

Beschrieben wird ein attraktiver, in Algier lebender, junger Mann, dessen Träumereien ebenso gut unserem Kulturkreis entstammen könnten. Sein vordringlichster Wunsch ist es, Schauspieler zu werden. Nach bescheidenem Anfangserfolg gerät der Karrierezug ins Stocken. Durch Vermittlung eines Jugendfreundes verdingt Nafa Walid sich bei einer reichen, in der Hauptstadt tonangebenden Familie als Fahrer. Von Anfang an wird ihm der Genuss des üppigen Gehalts durch den drohenden Verlust seiner Würde nahezu unmöglich gemacht. Gleichzeitig lehnt seine Familie jegliche Annahme seines Geldes ab. Nafas Leidensbereitschaft ist bald erschöpft. Das Ausmaß von Korruption und Machtmissbrauch, von geradezu sklavischem Umgang mit Angestellten in diesen Kreisen lassen ihn schaudernd zurückweichen.

Wenngleich nicht vollständig desillusioniert, so doch aufgerüttelt sucht Nafa nach einem Ankerpunkt, nach der verloren gegangenen inneren Ruhe. Sein Weg führt ihn zu einem beliebten Dichter in der Nachbarschaft, dann in eine Moschee, ohne dabei im Geringsten an einen Beitritt zur moslemischen Bruderschaft zu denken. Khadra beschreibt eindringlich die zunächst erfolgreichen Kämpfe des Protagonisten gegen die immer dreister werdenden Anwerbeversuche aus den Reihen der islamischen Radikalen. Nafas Gemüt vollzieht einen allmählichen Wandel. Auswirkungen der zunehmenden Verbitterung bekommen vor allem seine Familie, seine Schwester im heiratsfähigen Alter zu spüren.

Während Algier im Sumpf von Gewalt und Gegengewalt zu versinken droht - Khadras personifizierende Beschreibung der Stadt, die er in Schmerz und Grauen niederkommen lässt, erinnert an diesen eher seltenen Stellen an den borstigen Stil seiner Kriminalromane -, leistet der chauvinistisch gestärkte Nafa erste Beiträge für die islamische Bewegung. Die nimmt sich der Menschen in der Kasbah an, vor allen der Familien von gefallenen Märtyrern. Nafa arbeitet als einer ihrer Taxifahrer. Für sich gesehen ein harmloser Schritt, der sich in der Folge jedoch als fatal erweisen wird.

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Mit feinen Strichen entwirft der Autor das Bild der inneren Zerrissenheit seines Protagonisten, so dass dessen letztendliche Entscheidung nicht mehr überraschen kann. Trotz dieser Zwangsläufigkeit, kann sich der Leser dem Sog der beschriebenen  Ereignisse nicht entziehen. Und er muss Yasmina Khadra für den Wechsel der Erzählperspektive in die dritte Person dankbar sein. Die unausweichliche Identifikation mit dem Ich-Erzähler, aus dessen Perspektive der jeweilige Beginn der drei Abschnitte des Buches geschildert wird, dürfte über längere Strecken nicht bloß den feinsinnigen Leser in kaum zumutbarem Maße belastet haben. Im Übrigen weiß dieser nur zu genau, welchen Erfolg Stoßgebete im Allgemeinen zu verzeichnen haben.

(Originaltitel: »À quoi ręvent les loups«)

5/2003 © by Janko Kozmus
Leseprobe aus dem französischem Original:
"Alger était malade.
Pataugeant dans ses crottes purulentes, elle dégueulait, déféquait sans arręt. Ses foules dysentériques déferlaient des bas-quartiers dans des éruptions tumultueuses. La vermine émergeait des caniveaux, effervescente et corrosive, pullulait dans les rues qu'étuvait un soleil de plomb.
Alger s'agrippait à ses collines, la robe retroussée par-dessus son vagin éclaté, beuglait les diatribes diffusées par les minarets, rotait, grognait, barbouillée de partout, pantelante, les yeux chavirés, la gueule baveuse tandis que le peuple retenait son souffle devant le monstre incestueux qu'elle était en train de mettre au monde.
Alger accouchait. Dans la douleur et la nausée. Dans l'horreur, naturellement. Son pouls martelait les slogans des intégristes qui paradaient sur les boulevards d'un pas conquérant."
*
Die entsprechende Textstelle in der deutschen Übersetzung (Aufbau-Verlag):
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"Algier war krank.
Die Stadt schwamm in stinkenden Exkrementen, spie und kotete pausenlos. Ihre Menschenmassen brachen schäumend aus den Elendsvierteln auf, Gesindel wurde im Rinnstein angeschwemmt, um sich tosend in die Straßen zu ergießen, die unter bleierner Sonne dampften.
Die Stadt klammerte sich an ihren Hügeln fest, die Gewänder über einer klaffenden Vagina geschürzt, sie erging sich in Schmähreden, die von den Minaretten hallten, sie rülpste und grunzte, war rundum verschmiert, keuchte, verdrehte die Augen und hatte Schaum vorm Mund, während es dem Volk den Atem verschlug beim Anblick des inzestuösen Monsters, das Algier da zur Welt brachte.
Die Stadt kam nieder. In Schmerz und Ekel, im Grauen. Ihr Puls hämmerte im Rhythmus der Slogans, die die Islamisten skandierten, die mit siegreichem Schritt über die Boulevards paradierten."
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Anmerkung:
* Eine für den Autor insgesamt typische Passage. Im Gegensatz zu der Krimireihe mit Kommissar-Llob, einem zynischen Repräsentanten seiner Gattung, wo dieser Ton bestimmend ist, ist sie in diesem Roman jedoch eingebettet in einem generell konventionelleren Erzählfluss.
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Weitere Rezensionen zu Werken von Yasmina Khadra: 
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Ein Boxer namens Arthur Rimbaud (zu: Die Engel sterben an unseren Wunden)
Schattenherrscher (zu: Worauf die Affen warten)
"Mit Raubtierlächeln im Wind" (zu: Die Sirenen von Bagdad)
Das neue Attentat (zu: Die Attentäterin)
Madschnun bei den Taliban (zu: Die Schwalben von Kabul)
Kommissar Llob-Trilogie, erster Teil (zu: Morituri)
Kommissar Llob-Trilogie, zweiter Teil (zu: Doppelweiß)
Kommissar Llob-Trilogie, dritter Teil (zu: Herbst der Chimären)
Die Unantastbaren (zu: Nacht über Algier, Kommissar Llob)
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