DIE MARABOUT-SEITE
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Chronik (1901-2019)

Zur Sozial- und Literaturgeschichte Afrikas * von innen und außen 

Tageschronik: 14. Juni 2007

 

· Die MARABOUT-SEITE zitiert aus Nigeria ·  

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"Achebe gewinnt globalen Literaturpreis",

überschreibt Uduma Kalu seinen Bericht für die nigerianische Tageszeitung The Guardian. Die Rede ist vom Internationalen Man Booker Preis, der an  Nigerias "literarische Ikone Prof.  Chinua Achebe" gegangen ist, wie am gestrigen Morgen bekannt wurde.

Achebe, der von einer der JurorInnen, der "gefeierten Schriftstellerin  Nadine Gordimer", als "Vater der modernen afrikanischen Literatur" bezeichnet wurde, sei der zweite Gewinner dieses Preises.

Der mit ungefähr  NGN 15.000.000 (60.000 brit. Pfund) dotierte Man Booker International Prize wird alle zwei Jahre - seit 2005, als ihn der albanische Schriftsteller Ismail Kadaré gewann - für eine literarische Leistung auf Weltniveau vergeben.

Achebe habe eine Reihe von Top-Konkurrenten aus dem Feld geschlagen, eine Liste, die der Autor vollständig aufführt:  Doris Lessing, Ian McEwan und Salman Rushdie aus Großbritannien; John Banville aus Irland; Philip Roth und Don DeLillo aus den USA;  Margaret Atwood, Alice Munro und Michael Ondaatje aus Kanada sowie der israelische Dissident Amoz Oz.

Die größte Popularität habe Achebe wahrscheinlich mit seinem 1958 erschienenen Roman Things Fall Apart (dt: Okonkwo oder Das Alte stürzt. Stuttgart 1959) erzielt sowie mit dem Roman Anthills of the Savannah (1987; Termitenhügel in der Savanne. Ffm 1991), der 1987 für die Shortlist des Man Booker Prize nominiert war. Things Fall Apart feiere im nächsten Jahr sein 50-jähriges Jubiläum.

Die dreiköpfige Jury, der die Südafrikanerin Gordimer angehört, ehrte Achebe für "die Begründung des modernen afrikanischen Romans", der viele Schriftsteller mit seiner "Beschreibung des Einflusses des Kolonialismus auf die Kultur und die Zivilisation des Kontinents inspiriert" habe.

Der Preis markiere die zweite einem bzw. einer  nigerianischen SchriftstellerIn zuteil gewordene Ehre innerhalb einer Woche.

 Chimamanda Ngozi Adichie habe am 6. Juni den mit 30.000 brit. Pfund dotierten Orange Broadband Prize for Fiction für Half of a Yellow Sun erhalten.

Die Reaktion Achebes, der eine Professur am Bard College, Annandale, New York State, inne habe, auf die Nachricht vom Gewinn sei wie folgt ausgefallen: "Es war vor 50 Jahren, dass ich mit der Arbeit an meinem ersten Roman Things Fall Apart begonnen habe**. Es hat mich erstaunt zu erfahren, dass meine Altersgenossen auf mein Werk der letzten 50 Jahre blickten und es dieser bedeutenden Anerkennung für würdig befanden. Ich bedanke mich dafür."

Relativ dürftig fällt das Zitat hinsichtlich Adichies Reaktion aus: "Er ist ein bemerkenswerter Mensch. Der Schriftsteller und der Mensch. Er ist wie ein Schriftsteller meiner Ansicht nach sein sollte."

Achebes eigentliche Überzeugung demonstriert Uduma Kalu, der Verfasser dieses Artikels, indem er auf dessen jahrelange Weigerung verweist, seine Romane in Ibo zu übersetzen, welches er immer noch als eine "bastardisierte Missonarsversion von authentischen Dorfdialekten" betrachte. Jedoch sei Things Fall Apart in 50 andere Sprachen übersetzt worden, mit 10 Mio. verkauften Exemplaren. Das zweite sehr einflussreiche Werk - "weltweit in Klassenräumen diskutiert" - sei das Essay An Image of Africa: Racism in Conrad's Heart of Darkness' (1975; dt: Ein Bild von Afrika. 2002), welches Conrad beschuldige, Afrikaner zu dehumanisieren und ihren Kontinent als "ein metaphysisches Schlachtfeld" darzustellen "bar jeglicher erkennbarer Humanität, in welches der wandernde Europäer auf eigene Gefahr eintrete".

Eines Tages, schreibt Kalu weiter, sei Achebe gefragt worden, welche Autoren die afrikanische Geschichte gut erzählt hätten. Hunderte, habe er geantwortet, "viele eingeschlossen, von denen wir normalerweise nicht reden und die wir nicht zur Literatur rechnen" - die Geschichtenerzähler des Dorfes, die der oralen Tradition angehören, die längst aktiv waren, bevor die Kolonialisten Feder und Papier einführten.

"Humanität", so Achebe, "wird immer versuchen eine Geschichte zu erfinden."

Der Internationale Man Booker Preis sei in der literarischen Welt einzigartig, heißt es weiter, weil er von Autoren jeglicher Nationalität gewonnen werden könne, vorausgesetzt ihr Werk sei in Englisch erhältlich. Ein Autor könne den Preis nur einmal erhalten. Er unterscheide sich vom herkömmlichen Man Booker Preis auch dahingehend, dass er für ein Gesamtwerk vergeben werde.

Die Jurorin Elaine Showalter habe sich folgendermaßen geäußert:
"Mit Things Fall Apart und seinem anderen belletristischen Werk, das in Nigeria angesiedelt ist, hat Chinua Achebe den modernen afrikanischen Roman begründet. Er bereitete auch den Weg für die Schriftsteller in aller Welt, indem er nach neuen Worten, neuen Formen für neue Realitäten und Gesellschaften suchte. Wir ehren sein literarisches Beispiel und seine Leistungen."

Gordimer ihrerseits habe sich folgendermaßen geäußert: "Chinua Achebes frühes Werk machte ihn zum Vater der modernen afrikanischen Literatur als ein integraler Bestandteil der Weltliteratur. Er ist ausgezogen zu vollbringen, was einer seiner Charaktere brillant als die Aufgabe des Schriftstellers formulierte: ein neu gefundener Ausdruck für die Eroberung der Komplexität des Lebens. Diese Belletristik ist eine originäre Synthese des psychologischen Romans, der Joyce'sche Bewusstseinsstrom, der postmoderne Bruch mit dem linearen Handlungsverlauf und somit das Herausfallen jeglicher Normen. Eine Freude und eine Erleuchtung, sie zu lesen."

Das dritte Jury-Mitglied, Colm Tóibin, sei nicht weniger überschwänglich in seinem Lob gewesen: "Chinua Achebe war einer meiner Helden seit ich sein Buch Things Fall Apart gelesen habe. Dieses Buch bringt es fertig, einen essentiellen Moment im kolonialen Drama einzufangen; es dramatisiert folgenschwere Wechsel mit Klarheit, Sympathie sowie verblüffender Sprachbeherrschung und Leichtigkeit. Seine anderen Bücher, besonders No Longer At Ease (1960; dt.: Obi. Ein afrikanischer Roman. Wiesbaden 1963), arbeiten mit einer Mischung von Stimmen, von der satirischen bis zur prophetischen". Anthills of The Savannah, wird Tóibin weiter zitiert, offeriere eine Vielfalt von Stimmen und Tonfällen, aufbereitet mit dem Geschick und der Einsicht des Meisters der Romanform.

Darauf folgen einige der prägnantesten Lebensstationen***, die den Leser von der frühen Bildung, über den Biafra-Krieg, als Achebe für die Biafra-Regierung arbeitete, bis hin zu seinen akademischen Ämtern und Würden führen.

Achebes Werk, nimmt Kalu seine Huldigung wieder auf, zentriere sich um afrikanische Politik, "die Beschreibung von Afrika und Afrikanern im Westen und die Komplexität der präkolonialen afrikanischen Kultur und Zivilisation genauso wie die Auswirkungen der Kolonisation auf afrikanische Gesellschaften". Sein klassischer Roman Things Fall Apart werde zu den großartigsten Romanen gezählt, die je geschrieben wurden. 10 Mio. Exemplare seien weltweit verkauft worden und die Übersetzungen in 50 Sprachen, machten Achebe zum meist übersetzten afrikanischen Schriftsteller aller Zeiten. Er habe sowohl über 30 Ehrentitel erhalten als auch zahlreiche Preise für sein Werk.

2004 habe Achebe aus Protest gegen die Verhältnisse im Lande den nationalen Titel eines Commander of the Federal Republic (CFR) abgelehnt. (siehe unten)

"Gelähmt von der Hüfte abwärts infolge eines Autounfalls im Jahre 1990, ist er verheiratet mit Prof. Christine Chinwe Achebe, mit welcher er vier Kinder hat."

Uduma Kalu beschließt seinen zwischen Höhenflug und Pragmatismus changierenden Bericht vergleichsweise lapidar, mit dem Hinweis auf 20 von Chinua Achebe verfasste Bücher, dazu gehörten Romane, Kurzgeschichten, Essays und Gedichtsammlungen. · (NgrGuardian, ÜEK: J.K.)

Quelle:
The Guardian , englischspr. nigerian. Tageszeitung (NgrGuardian)

Anmerkungen:
* inkl. arabischer Raum
** Bis dato hat die Literaturwissenschaft dieses Datum allgemein auf 1955 festgesetzt. Insofern erhebt sich die Frage, ob diese Äußerung Achebes der Wahrheit entspricht oder sie mit Unbedacht geschehen ist oder ob der bis dato geltende Beginn der Niederschrift, 1955, berichtigt werden muss.
*** Die Daten sind nahezu identisch mit den wichtigsten Punkten, wie sie auch dem Portrait auf der Marabout-Seite entnommen werden können. Ausnahme: 1956 habe Achebe bei der BBC "Broadcasting (Rundfunkwesen) studiert". Diese Angabe, die teilweise im Internet kursiert, wurde - da sie nicht verifiziert werden kann - von der Marabout-Seite nicht aufgenommen.
ÜEK: J.K. --> Aus dem Englischen übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus ©


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