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Leseprobe: »Der Schatten des Marabouts«



Oualydia
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Ihr in der drohenden Gefahr, von Selbstmitleid hinweggespült zu werden, verunsichertes Ego fügt sich allmählich wieder zu dem, was es einst war. Und ist doch nicht dasselbe. Es war nah daran aus seinen Ufern, aus seiner Bahn zu geraten. Über dem eigenen Sein stand es, hing es, beobachtete, bedauerte, analysierte sich, kalt, nach Möglichkeiten spähend, der Realität zu entkommen und wo nicht zu entkommen, sie zu benutzen. Für sein, für ihr Spiel. Ihr altes Spiel.

Das hat sie von ihm gelernt. Von ihm hat sie.., sie lächelt bitter, als sie es denkt: sie hat schwimmen gelernt, die freie Bewegung, im Medium des Schwebens, die gedankliche Regung, das Spiel, die Spiralisation.

Wen interessiert schon der Kommentar zur Begehung, der überall im Hause tönt?! Im leeren Haus, des Großvaters Domizil. Ihr Domizil.

Er hat sie gelehrt, es zu spielen. Und nun ist er selbst der Einsatz. Sein Tod gibt ihr die Möglichkeit zum Spiel, seinem Spiel, ihrem Spiel. Wenn du nicht weiterweißt, wenn du weißt, es also akzeptierst, daß du nicht weiterweißt, bist du schon ein Stück vorangekommen, sagte er.

Immer.
Es klang hohl.

Jetzt spürt sie einen flüchtigen Moment lang, was er gemeint haben muß. Spiel es, würde er gesagt haben. Spielst du, hast du schon gewonnen. Läßt du es, hast du für immer verloren. Nein, Schwindel lösen diese Gedanken nicht aus, eher eine Angst, die nach der bangen Furcht eines Kindes schmeckt vor einer unkontrollierten Fahrt, mit der es sich zu weit vorgewagt hat. Es ist, als säße sie in einem Schlitten mit nach oben gebogenen, in Spiralen auslaufenden Kufen, Widderhörnern ähnelnd, und die Schußfahrt ginge eine vereiste Bahn entlang. Sie sitzt nicht auf einem Schlitten, ihr Körper selbst ist der Schlitten, der jetzt beginnt, die spiralige Bahn hinabzurasen, der sich langzieht und steif macht, aus Angst die Bande zu berühren. Sich steif macht aus Furcht, aus der Bahn geworfen zu werden. Die Fahrt wird immer schneller, ihr Körper immer steifer, immer härter. Die Bahnspirale immer enger. Immer schneller der Schlitten. Die Wände der Bahn immer höher. Sie wird immer schneller. Die Kurven immer enger. Dann, die nächste kann sie nicht mehr nehmen. Und in dem Moment, als sie die Angst lähmt, die Angst, hinausgeschleudert zu werden, löst sich die Bahn als solche einfach auf. Übrig bleibt ihre Form, die der Spirale, einen Moment lang scharf umrissen, im nächsten schon porös, körnig wie der Abdruck eines Schneckenhauses in einem ausgetrockneten Salzsee, einem Chott, in der Wüste, weicht weiter auf, löst sich schließlich auf in Nebel, die ihrerseits wieder Spiralform annehmen und sich hineinbohren in die Schwärze, die stumme Schwärze.

Wo ist sie in diesem Nebel? Was ist mit ihrem Spiel? Es scheint, als lichteten sich die Nebel, in Wahrheit werden sie dichter, fester, gewinnen an Konsistenz, an Form. Zurück. Spiralform, Myriaden von Sternen bilden sie, erstrahlen. Blaß. In ihr.

Wildeste, strahlendste Blässe.
  Großvater, ich habe dich geliebt, heißt der Satz, heißt das Spiel, es sagt: Du bist tot, Großvater, hilf mir weiter! Gänsehaut überspannt schützend ihre Haut. Nein, das ist nicht ihr wirkliches Spiel, dahinter steckt mehr, Älteres, stecken andere.

Tifmoud?

Sie mochte ihn, das ist schon alles. Ist das wirklich alles? War die Vorstellung von der Schlittenfahrt nicht beständig überlagert von einem zweiten Gedanken? Vom Gedanken, vom Bild von ihm, von Tifmoud, ein Bild, das sie nicht konkret werden ließ? Und schloß dieses Bild nicht genau das ein, was sie nicht vollziehen wollte, weil sie es beide überwunden zu haben glaubten? War es nicht die Vorstellung, die Sehnsucht, eine ganz konkrete, sehr körperliche Sehnsucht, von ihm in den Arm genommen, geliebt zu werden? Jetzt hat sie den Mut, es konkreter werden zu lassen. Ein junger Körper, nackt, fest, nicht allzu muskulös, beugt sich über ihren. Gleichfalls nackt. Bebend. Zitternd vor Verlangen. Wird berührt. Dringt in sie. Sie zittert.

Sie mag ihn, das ist schon alles. Gibt es noch andere? Die strahlende Blässe der Spirale windet sich in ihr, führt sie, zwingt sie in eine vorbestimmte Richtung. Zu nie gesehenen, altbekannten Ufern. Zu Schlick und Schlamm. Auftauchend aus Schlamm und Schlick. Körper. Bekannte, fremdgewordene. Blähen sich.

In ihren Magen bohrt sich, in ihr Hirn bohrt sich die Spirale.
  Aufgetriebene Körper. Ihr entgegen.
  Warum habt ihr mich verlassen? Das war stets sein Spiel. Sie hat es nicht verstanden. Nie verstanden. Spiel es. Endlich. Jetzt.

Spielst du es nicht, bleibst du mutlos zurück.

Es ist, als wirbelten die aufgetriebenen, verdreckten Körper ihr entgegen. Wirbeln, drehen. Sie scheint bereit, sie aufzunehmen. Als ob sie selbst diese unendliche Spirale wäre. Sie kommen näher. Ihre Eltern. Tote Körper. Ihr entgegen. Immer näher. Ihr Wirbeln ist wie ein Aufschrei. Nicht zu übergehen.

  Immer näher.
  Nimm uns auf.
  Wir sind nicht mehr.
  Immer näher. In die Spirale. In sie.
  Wir leben durch dich.

Und dann treffen sie sie. Und es ist ein sanftes Umschließen. Gemeinsam treiben sie hinaus in die Spirale der Sternenhaufen. Ihres Gehirns.

Ich habe euch immer geliebt.

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Wie könnten Tränen lindern, was aus echtem Leid geboren ist. Und doch rinnen sie ihre Wange hinab, und sie lügen nicht. Lassen sich nicht halten. Weichen sie auf, ihre Steifheit, ihren Starrsinn, ihre Angst, ihre Unfähigkeit, anderes zu sehen als die Schönheit, die Adrettheit ihrer Welt.

Unter der Oberfläche des Bewußtseins.
Unter der Kuppel.

© by Janko Kozmus
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