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Rezension: → Gamal al-Ghitani - Pyramiden - Eine literarische Expedition

Im Schatten der Pyramiden

Schatten heißt eine der vierzehn kurzen und kürzesten Geschichten - die letzten tragen keinen Titel und bestehen nur noch aus wenigen Worten - in dem Band Pyramiden - Eine literarische Expedition des 1945 in Ägypten geborenen Gamal al-Ghitani. Die Erzählung scheint besonders geeignet, etwas genauer auf die literarische Technik des Autors einzugehen, die seinen Geschichten zunächst Wahrhaftigkeit verleiht und sie im nächsten Moment glaubhaft in das Reich der Mythen einwebt. Dessen Magie speist sich ja bekanntermaßen - da bilden die Mythen, die das einzige noch existierende der sieben Weltwunder der Antike umwabern, die Pyramiden von Giseh, keine Ausnahme - nicht aus der Glaubwürdigkeit beschriebener Taten, sondern aus deren Größe und Symbolhaftigkeit für menschliches Handeln.

Im Mittelpunkt der Erzählung Schatten steht ein Fremder, von dem man nicht weiß, woher er gekommen ist, die Spekulationen, reichen vom »fernen Maghreb« bis »aus dem Osten«. Jedenfalls gilt sein Interesse der nördlichen Pyramide von Giseh, genauer: dem Schatten dieses Monuments. Fiele dieser auf eine ganz bestimmte »magische Stelle«, die ihm ein Buch bezeichnet habe, »werde sich ihm alles offenbaren - die Quelle des Wissens und die Schlüssel zum Verständnis der Symbole«.

Nicht immer sind es Fremde, es können wie beispielsweise in der Erzählung Entrückung auch Einheimische sein, die der magischen Anziehungskraft der Pyramiden erliegen, obwohl sie ihr gesamtes Leben in ihrem Schatten zubringen. Für gewöhnlich sind die Anwohner jedoch Zaungäste, Teil der vom Erzähler aufgerufenen Zeugenschaft. In der Erzählung Schatten nimmt die Beschreibung der Anwohner - und durch ihren Mund die Wiedergabe der verschiedensten Pyramidengeschichten, »mochten sie tatsächlich geschehen oder erfunden sein« - einen auffällig breiten Raum ein. Sie berichten gar von »mysteriösen Wesen, die ... im Innern der Pyramiden ihr Leben verbrachten - Zeugung, Geburt, Tod; sogar Kriege führten sie, denn wie wäre sonst das Knallen und Krachen erklärbar, das mitunter aus dem Innern einer Pyramide drang?« Das ist starker Tobak, denkt der Leser, daneben wirkt die Geschichte des wahrheitssuchenden Protagonisten irgendwie glaubhafter. Ein simpler und einfach zu durchschauender Kniff, der dennoch seine Wirkung nicht verfehlt. Der Autor weist den Anwohnern damit eine bedeutende Funktion zu. Darüber hinaus beobachten sie als Augenzeugen das Treiben der Wahrheitssucher, der Forscher und auch der Touristen.

Man möchte meinen, die Einbeziehung der Touristen und mit ihnen unserer prosaischen Zeit würde die mythische Ausstrahlung der Pyramidengeschichten von al-Ghitani brechen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ob Touristen, Forscher oder Konsuln, alle werden Teil des ruhigen Erzählflusses, der trotz fehlender komplexer Wirbel eine Tiefe erahnen lässt, die den Leser von der ersten Seite an gefangen hält und die immerhin Jahrhunderte umspannt, gleichzeitig aber in jene Zeitlosigkeit einbindet, die von den Pyramiden selbst vorgegeben wird. Weder Erzählweise noch Inhalt sind als Anpassung an das klischeehafte, an Rückständigkeit erinnernde Orientbild westlicher Provenienz zu begreifen. Vielmehr sind sie Ausdruck der thematischen Abkehr al-Ghitanis von konkreten Bezügen zur sozialen Geschichte. Deren Beschreibung findet in seinem 1976 erschienenen Roman Der safranische Fluch ihren Höhepunkt. Von Kritikern wird dieser Roman als das dem »Machfus'schem Sozialrealismus« am nächsten stehende Buch Gamal al-Ghitanis bezeichnet. Die Pyramidentexte stehen in der Tradition seiner späteren Hinwendung zu spirituellen Inhalten, die im 2005 veröffentlichten »Buch der Illuminationen« kulminiert, ein Text, der in deutscher Übersetzung noch nicht vorliegt.

Ein Hauch von Orient ist in der Erzählung Begreifen zu spüren, in welcher Kalif al-Mamun seinen Großmeister auf dem Gebiet der Messungen anweist, die große Pyramide zu vermessen, bevor er einen Zugang zu dieser freilegen lassen will. Neben den zeitlos scheinenden Mythen verleiht die Aufnahme der historischen Figur des Kalifen al-Mamun, der im 9. Jh. tatsächlich einen gewaltsamen Zugang zur Pyramide legen und Messungen zur Bestimmung des Erddurchmessers vornehmen ließ, dieser Geschichte eine historische Dimension. Gleichzeitig wird mit der Person des abbasidischen Kalifen - al-Mamun war der Sohn von Harun al-Raschid, bekannt aus den Erzählungen von Tausendundeine Nacht - die Zugehörigkeit zum Kanon der orientalischen Erzählung suggeriert. Was den Fortgang von al-Ghitanis Erzählung angeht, verwundert es nicht, dass die gestellte Aufgabe den von allen hoch geschätzten Fachmann bis an den Rand der existenziellen Auflösung verzweifeln lässt.

Lediglich im besonderen Fall des Vermessungsexperten scheint die Tatsache, dass der Protagonist unter Beobachtung steht, dessen Bemühungen zu intensivieren. Bloß die kritischen Blicke seines Herren vermögen dies zu bewirken, die der übrigen Zuschauer prallen eher an ihm ab. Auch im Falle des auf den Schatten Wartenden ist von einer echten Wechselwirkung zwischen den Nebenfiguren, in diesem Fall sind dies die Anwohner, und dem Helden kaum zu sprechen. Für diese wird er einerseits zu jemandem, zu dem man Vertrauen fasst, den man um Rat oder sogar um seinen Segen bittet, er wird »Teil des gemeinsamen Gedächtnisses«, andererseits »blieb er für sie ein wandelndes Mysterium«. Ein Mehr an Distanz ist kaum denkbar.

Ein Ansteigen des Authentizitätsgehalts seiner Erzählungen bewirkt al-Ghitani durch das Aufrufen von Nebenfiguren, die das Geschehen bezeugen. Finden die sagenhaften Vorkommnisse aber in darauffolgenden Geschichten erneut Erwähnung, sind sie bereits als Teil der Legenden rund um die Pyramiden in mythische Ferne gerückt und verknüpfen die Einzelteile miteinander, bis sie ein unzertrennbares Ganzes darstellen. So wird auch das Geschehen aus der Erzählung Rausch wiederholt aufgegriffen: Es ist die Geschichte eines jungen Paares, deren Symbolgehalt sich förmlich aufdrängt. Sowohl die junge Frau als auch der junge Mann gelten als hoch begabt und in ihrer Entschiedenheit wie geschaffen dafür, dem Drang nachzugeben, den sie beide verspüren: in die Tiefe einer Pyramide vorzudringen. Gemeinsam steigen sie hinab, um im Feuer der Vereinigung zu brennen.

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Das Bild der Auflösung, des Eingehens in was auch immer taucht wiederholt auf. Solange die Suchenden der Lösung ihrer Aufgabe folgen, strahlen sie eine Wesenhaftigkeit aus, die ihnen den Respekt und den Zuspruch ihrer Umgebung einträgt. Erreichen sie ihr Ziel, scheint sich ihr Ich aufzulösen, es fällt dem Schatten der Pyramiden zum Opfer.

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Im Schatten der Pyramiden
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Ebenso wenig wie die Pyramiden von Giseh ohne die Sphinx vollständig sind, wären es Pyramidengeschichten ohne ein Rätsel: Mit der nur zwei Seiten zählenden Geschichte Tanz hinterlässt Gamal al-Ghitani dem Leser ein Denkspiel, das noch vor seinem inneren Auge tanzt, längst nachdem er sie gelesen hat: Wer ist diese »erhabene Gestalt«, die »sich in die grenzenlose Leere erhebt« und nur von dem erblickt werden kann, der »die Kraft besitzt, Sehnsucht und Trauer zu erdulden«? Nur allzu gern möchte man glauben, es handele sich um die Sphinx selbst, doch ist deren Gesicht nach Osten gewandt und nicht wie in Tanz beschrieben, wo ihre Augen »in Richtung Sonnenuntergang schauen«.

(Originaltitel: Mutun al-Ahram)

06/2006 © by Janko Kozmus

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