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Rezension: Abdourahman A. Waberi - In den Vereinigten Staaten von Afrika

Feine Neue Welt

Im Jahre 2006 erschien in Paris das französische Original des nun in deutscher Übersetzung vorliegenden Romans In den Vereinigten Staaten von Afrika, das große Aufmerksamkeit erregte. Sein Autor, der 1965 in Dschibuti-Stadt geborene Abdourahman A. Waberi, erlebte kurz vor seinem zwölften Geburtstag die Erlangung der Unabhängigkeit des damaligen Französisch-Somaliland. Im Alter von zwanzig Jahren verließ er seine Heimat, um in Frankreich sein Englisch-Studium fortzusetzen und zu schreiben. In deutscher Sprache wurde bisher lediglich sein zweiter Erzählband Die Legende von der Nomadensonne (1998) veröffentlicht. Das vorliegende Buch ist bereits Waberis vierter Roman.

Die Handlung setzt ein mit dem Sterben und dem Tod von Mayas Adoptivmutter und dem darauffolgenden allmählichen Zusammenbruch von "Daddy Doc". Dieser hatte sich der Protagonistin einst während einer humanitären Mission als Arzt in der Normandie erbarmt und sie in seine Heimat mitgenommen, nach Asmara, in die Kapitale der afrikanischen Föderation. Die Normandie, Frankreich wie ganz Europa und Nordamerika waren damals wie heute rückständiges Gebiet, das dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Afrika nacheifert und sich dem Diktat seiner ökonomischen Überlegenheit beugen muss. Kein Wunder, dass auf den schwarzen Kontinent, wo Milch und Honig fließen, ein nie endender Flüchtlingsstrom schwappt. Um seiner Herr zu werden, verfallen reaktionäre Politiker auf wenig lautere Methoden und auch in der Exekutive treten extreme Handlungsweisen hervor. Ein kleiner Sheriff der Bundespolizei lässt tagtäglich "zwei weißhäutige Halsabschneider oder Habenichtse", die im Kampf ums Überlegen die Gesetze übertraten, in einen drei mal drei Meter großen Verschlag sperren mit dem Versprechen, demjenigen, der bis zum Morgengrauen den anderen getötet habe, das Leben zu schenken. Vor allem im ersten Kapitel des Romans mit dem Titel Reise nach Asmara, Bundeshauptstadt werden neben der Ankunft der Protagonistin die äußeren Verhältnisse einer vollkommen verdrehten Welt glaubhaft geschildert.

Für einen gewissen Yacouba - sein nahezu unaussprechlicher Name Maximilien Geoffroy de Saint-Hilaire wurde in diese leichtere Form umgewandelt - ist das Zentrum des Imperiums eine "Stadt der Sackgassen". Aber welche Alternative hatte er schon? Schließlich musste er seiner von Stammeskriegen zerrütteten Schweizer Heimat irgendwie entkommen. Er ist einer von jenen Exilanten, die an die Küste von Algier oder Djerba geschwemmt werden. Sein Schicksal ist nur schwach mit dem der zentralen Figur verknüpft. Er dient ihr wie dem Leser lediglich als "Objekt" der Anschauung, als eine Möglichkeit zur besseren Einsicht in die nach Veränderung schreienden Missstände. Ob sein Schicksal bis ins Mark persönlicher Empörung dringt, bleibt fraglich.

Bezeichnet man dieses Buch als Satire, sollte man hinzufügen, dass dem beständigen Hauch von Spott, das es durchzieht, jeglicher bösartige Biss fehlt. Das Vorhalten des Spiegels anhand von Verkehrungen bleibt nicht oberflächlich, da Abdourahman A. Waberi mit äußerster sprachlicher Präzision bis ins Innerste der beschriebenen Verhältnisse vordringt. Besonders anschaulich werden Raffinesse und Bildhaftigkeit der Sprache im zweiten Kapitel - Reise ins Herz des Ateliers - verdeutlicht. Hier wird dem Schaffen der Malerin Maya Raum gegeben, welches in das reiche Erbe der föderalen Kunstproduktion eingebettet ist. Unter vielen gehört dazu das Meisterwerk "Das Lächeln der Mouna Sylla" von Gustavio Mbembe, das "heute im Allerheiligsten der Bundeshauptstadt, im African Humanity Museum (AHM), aufbewahrt" wird. Als Beispiel des Ineinandergreifens der beiden Welten darf die Erwähnung eines aus Zentralpolen stammenden "Langfinger(s) und Gelegenheitserzähler(s)", namens Ryszard gelten.

Selbstverständlich denkt der an afrikanischer Literatur interessierte Leser an die Literarischen Reportagen des im vergangenen Jahr verstorbenen Ryszard Kapuscinski. Doch während der reale Ryszard im ostpolnischen Pinsk, im heutigen Weißrussland, geboren wurde, lässt Waberi seinen "Herumtreiber" aus Lowitsch in Zentralpolen stammen. Und dieser war nicht als Reporter nach Afrika gekommen, um dem fortschrittlichen Europa von den gerade erst unabhängig werdenden Kolonien zu berichten, sondern um an den "fortschrittlichen Universitäten" der Afrikanischen Föderation zu studieren. Eingeführt wird diese Randfigur - eine von vielen, deren Treiben auf den Straßen von Asmara die Protagonistin beobachtet - als "begnadeter und besessener Märchenerzähler". Ob dies als wenig verhüllte Kritik des Autors Waberi am realen Kapuscinski zu verstehen ist, mag der Leser selbst entscheiden. Ryszard Kapuscinski wurde von Kritikern nachgesagt, einige seiner ansonsten hoch gelobten Literarischen Reportagen seien mehr Dichtung als Reportage.

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Mayas Reifen als Frau und als Künstlerin vollzieht sich im wechselseitigen Prozess. Der Erzähler gibt jedoch der Darstellung des künstlerischen Aspekts eindeutig den Vorzug. Er spricht fast ehrfürchtig von Mayas Terrakotta-Skulpturen und ihren "Bildgedichten". Mit Hochachtung zitiert er - fiktive - Kritiker und beweist immer wieder aufs Neue die Biegsamkeit seiner Wörter, die gestalterische Kraft seiner Sätze. Hier schwingt sich Waberi zu ästhetischer Höchstform auf, wiewohl die Schilderungen der äußeren Welt denen der künstlerischen in nichts nachstehen: "Draußen kauert sich der kleine Winkel des Stadtdschungels in die Arme des aufgehenden Tages." Im Dunsthauch der Kunstbetrachtungen wird der Autor Abdourahman A. Waberi gar programmatisch. Sein Erzähler weist der Kunst und der Literatur eine Brückenfunktion zu. Gemeinsam vermittelten sie zwischen dem privaten und dem politischen Bereich. Auch in diesem Sinne ist In den Vereinigten Staaten von Afrika ein höchst politischer Roman, der an keiner Stelle suggeriert, es wäre damit getan, die Verhältnisse umzukehren, die Vorzeichen zu vertauschen, der vielmehr die Missstände in der Afrikanischen Föderation eindeutig, aber in feinen Tönen nachzeichnet. Dieser Botschaft kann sich der Leser kaum entziehen. Innerhalb der von Waberi geschaffenen Welt ist es die bildende Kunst, die den Zustand der Gesellschaft kommentiert und anprangert, in unserer ist es die Literatur, woran Waberis eigenes literarisches Schaffen seinen Anteil objektiv für sich in Anspruch nimmt.  

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Oberflächlichen Spott wird der Leser in diesem Buch kaum finden - vielleicht gehören die "African Queens" dazu, wie die "Luxusweibchen" der Oberschicht kritisch genannt werden -, aber natürlich entbehren die Verdrehungen und Verkehrungen dieser fiktiven Welt nicht der - teilweise äußerst feinsinnigen - Komik. "Eulen nach Algier tragen" oder "seit Methusouleymans Zeiten" fallen noch in die Kategorie von einfachen Wortspielen, von den komplexeren weiß die Übersetzerin im Nachwort ein Lied zu singen. Daneben stehen bis ins kleinste Detail ausgeklügelte Fachsimpeleien, die den Leser ein ums andere Mal dazu verleiten, sich im Internet über den ein oder anderen Künstler zu informieren, nur um festzustellen, dass dieser der Imagination des Autors entsprungen ist. Trotz der dichten Schreibweise in nahezu philosophischen Betrachtungen und des Fehlens jeglicher Dialoge lässt Waberi beim Leser niemals ein Erlahmen des Interesses zu. Dies mag einmal am Zusammenspiel von hoher Meisterschaft im Ausdruck und tiefer Durchdringung der beschriebenen Objekte und Verhältnisse liegen. Als weiterer Grund darf die Wahl eines eigenwilligen Stilmittels gelten, der Erzählform in der zweiten Person, sofern es um die Hauptfigur geht.  

Der Erzähler, der seine Protagonistin des Öfteren gar mit dem Kosenamen Malaïka bedenkt, stellt damit eine unerhörte Nähe zu dieser her, die sich unmittelbar auf den Leser überträgt: "Worin liegt für dich das Bindeglied zwischen Privatem und Politischem, zwischen individuellem Dasein und großer Geschichte? Du kennst die Antwort, Maya. Ohne zu zögern, sagst du: in Kunst und Literatur." Ansonsten erfährt man so gut wie nichts über den Erzähler. Nur so viel wird deutlich: Als er die Handlung in Mayas Heimat verlegt und ins "literarische Ich" verfällt, wird seine Erleichterung darüber erkennbar, nicht Teil dieser Welt zu sein, sondern der anderen, der glänzenden, afrikanischen.  

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A.A. Waberi

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Gegen Schluss des Romans, im Kapitel Reise ins Herz von Paris, Frankreich - natürlich muss der Leser darauf hingewiesen werden, wo dieses Paris eigentlich liegt! -, erhält Maya während der Reise zu ihren Wurzeln, zu ihrer Familie die Möglichkeit, ihre solidarischen Vorstellungen zu verwirklichen. Dabei treten die Schwierigkeiten einer solchen Umsetzung, des theoretischen oder wie in ihrem Falle des künstlerischen Anspruchs in die Praxis, deutlich hervor. Und noch eines wird klar: Die künstlerische Kritik an Missständen mag wichtig sein, sie allein genügt jedoch nicht.  

(Originaltitel: Aux États-Unis d'Afrique)

03/2008

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