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Rezension:
→ J. M. Coetzee
- Warten auf die Barbaren
Wahnsinn
in der Wüste
J.M.
Coetzees Roman Warten auf die Barbaren
Von Manfred Loimeier (©)
Bereits
in den achtziger Jahren veröffentlichte der Hanser-Verlag
drei Romane des südafrikanischen Schriftstellers Jean Marie*
Coetzee, aber Im Herzen des Landes, Leben
und Zeit des Michael K. und Mr. Cruso, Mrs. Barton
und Mr. Foe interessierten damals noch kaum jemanden. Eine
Dekade später nahm der Fischer-Verlag den heute zweimaligen
Booker-Preisträger aus Kapstadt unter Vertrag und profitierte
davon, dass das Ende der offiziellen Apartheid auch die literarisch
interessierte Öffentlichkeit aufhorchen ließ.
Seither
publiziert Fischer das Gesamtwerk J.M. Coetzees, und soeben
erschien** die
neue Übersetzung jenes Buchs, mit dem Coetzee erstmals
auf Deutsch zu lesen war: Warten auf die Barbaren. Coetzee
hat diesen Roman schon 1980 geschrieben und erhielt dafür
noch im selben Jahr drei Literaturpreise. Die erste deutsche
Übersetzung kam 1984 im kleinen Berliner Henssel-Verlag
heraus, drei Jahre später folgte eine dtv-Ausgabe.
Mit
der Neu-Übersetzung dieses Romans durch Reinhild Böhnke
- sie übertrug für Fischer auch Der Junge,
Schande und Das
Leben der Tiere - will der Verlag laut der Lektorin
Dr. Ursula Köhler einen einheitlichen Ton in seinen Coetzee-Titeln
erreichen. Warten auf die Barbaren ist ein zeitloses
Buch. Es könnte im Römischen Imperium angesiedelt
sein und in einer fernen Zukunft: In einer Festung an der nördlichen
Reichsgrenze hält ein alternder Magistrat die Ordnung aufrecht.
Da kommt aus der Hauptstadt die Kunde, dass Barbaren jenseits
der Grenze einen Feldzug gegen das Reich vorbereiteten und deshalb
eine Garnison Soldaten in die Grenzstadt verlegt werde. Fortan
prägen Folter und Strafexpeditionen den Alltag. Der Magistrat
gerät in Verdacht, mit dem Feind zu kollaborieren, denn
er hatte ein Verhältnis mit einer Barbarentochter, die
er zu ihren Angehörigen in die Berge brachte. Der Magistrat
wird inhaftiert, kommt am Ende aber frei, weil sich die Garnison
in der unwirtlichen Gegend nach und nach verliert. Die Soldaten
verirren sich, erfrieren, verdursten, verhungern.
Wem
die Geschichte des früheren Apartheidsstaats Südafrika
vertraut
ist, der wird auf Anhieb erkennen,
auf welches Regime diese Parabel Coetzees gemünzt ist.
Von willkürlichen Verhaftungen ist die Rede, von Folter,
vorgetäuschten Hinrichtungen, Notstandsgesetzen und nicht-öffentlichen
Prozessen. 1980, als das Buch erschien, fegten schwarze Befreiungskämpfer
das weiße Regime in Simbabwe, dem nördlichen Nachbarn
Südafrikas, aus dem Amt, und im Nordwesten lieferten sich
namibische Partisanen verbissene Kämpfe mit Südafrikas
Soldaten. In der Kaprepublik steigerte das die Angst vor einem
Feind, dessen Sieg keiner für möglich hielt: "Keiner
kann akzeptieren, dass eine Reichsarmee vernichtet worden ist
von Männern mit Pfeil und Bogen und rostigen alten Flinten,
von Barbaren, die in Zelten leben und sich nie waschen und weder
lesen noch schreiben können."
Coetzee schreibt ferner von
einer früheren Besiedlung des Reichsgebiets durch die Barbaren
und bricht damit ein Tabu, denn gemäß der Apartheidsdoktrin
waren die Buren die ersten Menschen am Kap. Am Beispiel des
Magistrats legt Coetzee die Haltung der Liberalen offen, die
sich zwar gegen die Politik der Rassentrennung äußerten,
aber doch von ihr profitierten: Die Beziehung des Magistrats
zu dem Barbarenmädchen ist geprägt von Macht und Ohnmacht,
von Autorität und Abhängigkeit - keine Spur von Liebe
oder von Wertschätzung. Der Magistrat nutzt seine Vorrangstellung
aus, allerdings ahnend, dass er sich auf verlorenem Posten befindet,
"wie ein Mann, der sich schon vor geraumer Zeit verirrt
hat, aber immer weitergeht auf einer Straße, die vielleicht
nirgendwohin führt."
Warten
auf die Barbaren ist in dem knappen, unerbittlichen und
lakonischen Tonfall verfasst, der für Coetzees Romane typisch
ist. Die Landschaft, die in den südafrikanischen Siedlerromanen
sonst eine prächtige Kulisse für heroische Leistungen
bietet, wird hier als Abbild der Seele verwendet und zeigt nur
Ödnis, Verwüstung, Abweisung und Unfruchtbarkeit.
Eindringlinge sind dort nur geduldet und dazu verdammt, zu Warten
auf die Barbaren.
(Originaltitel:
Waiting for the Barbarians)
*
Zu den unterschiedlichen Vornamen siehe >
Autorenportrait Coetzee
**
verfasst 2001, für die Marabout-Seite übernommen
11/2003
Adaption
der Buchvorlage in Theater und Film:
Im
Herbst 2019 kommt die us-amerikanische Verfilmung Waiting
for the Barbarians in die Kinos; Regie führte Ciro
Guerra, in den Hauptrollen
Johnny Depp, Mark
Rylance
und
Robert Pattinson.–
Die polnische Regisseurin Maja Kleczewska hat den Roman bearbeitet
aud auf die Bühne des Hamburger Malersaals gebracht.
Das Hamburger Abendblatt ist voll des Lobes:
"Jeder der fünf Schauspieler ist grandios, vor allem
Markus John und Sachiko Hara gehen an schauspielerische Grenzen;
Michael Webers Conferencier mit dem Slogan 'Foltern für
eine bessere Welt' ist von so grenzenlosem Zynismus, dass
man als Betrachter erstarrt – und am liebsten einen
Schnaps kippen möchte, als das Spiel nach eindreiviertel
Stunden vorbei ist." –Vgl.:
www.abendblatt.de
v. 25.01.2016.
Bereits
im Jahre
2005 wurde Warten auf die Barbaren bei den Salzburger
Festspielen inszeniert, Regie führte Blixa Bargeld.–
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