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Rezension: → Yasmina Khadra - Die Schwalben von Kabul

Madschnun bei den Taliban

Der unter dem Pseudonym Yasmina Khadra schreibende algerische Autor Mohammed Moulessehoul hat Ende des Jahres 2000 seine algerische Heimat verlassen, weil er die Spannung nicht mehr aushielt, in die er sich als kritischer Autor und in gleichzeitiger Verantwortung als Offizier der Streitkräfte begab. Man durfte gespannt sein auf seine neuen, »im Westen« produzierten Bücher. Nach einer autobiographischen Skizze und einer Abrechnung mit den westlichen Medien hat er sich nun wieder seinem ureigenen Metier, der Erzählung sowie seinem bevorzugtem Thema zugewandt, dem Islam an seinen extremen Polen. Und er bleibt auch nach Wegfall des Drucks in seiner Heimat seinem Pseudonym treu.

Der Roman Die Schwalben von Kabul führt, wie der Titel verrät, nach Afghanistan, in die Ära der Taliban, in die jüngste Vergangenheit also. Khadra versteht es, die anachronistisch anmutenden Zustände mit einer solchen Eindringlichkeit zu schildern, dass der Leser trotz vermeintlich hinreichender Vorbereitung durch die massenhaft über Medien verbreiteten Nachrichten sich ungläubig mit den Händen an den Kopf fassen möchte. In einer Atmosphäre, die noch den letzten Winkel Kabuls mit Misstrauen vergiftet, werden die Protagonisten des Romans zunächst ihren Mitmenschen, dann sich selbst entfremdet. Als eine Art Ersatzhandlung halten sie unentwegt Zwiesprache mit ihrer Umwelt, mit der Natur. Ihr ständiger Begleiter, der Mond, erscheint mal als silberner Apfel am Firmament, dann wieder als neugierige Sonne, die beim Versuch, die Geheimnisse der Nacht zu lüften, die Fähigkeit des Glühens verliert. Bilder wie diese vermitteln in Verbindung mit dem von Khadra in leichten Farbtönen gemalten, für westliche Leser fremden Milieu trotz einer stringent verwirklichten Handlung bald den Anschein, sich in einem klassischen orientalischen Märchen zu bewegen, wie jenes von Madschnun, dessen unerfüllte Liebe zu Leila ihn in den Wahnsinn treibt. Die in ihrer Einfachheit äußerst ausdrucksstarke Sprache von Yasmina Khadra unterstreicht diesen Eindruck.

Gleichermaßen authentisch beschreibt der Autor zwei völlig unterschiedliche Paare: Die aus der Bildungsschicht stammende schöne Zunaira und der ihr ebenbürtige, feinsinnige Ehemann Mohsen leiden unter den Regeln striktester Umsetzung islamischen Rechts. Für den orthodox gläubigen Kerkermeister Atiq und seine Ehefrau Mussarat, die ihre Rolle mit Hingabe erfüllt, sind die Verhältnisse geradezu geschaffen. Doch auch Mohsen und Zunaira scheinen die Anpassung an die Umstände trotz schmerzlicher Einbußen erfolgreich zu vollziehen. Erst als Mohsen sich eines Tages in die öffentlich stattfindende Steinigung einer Prostituierten verirrt und selbst einen Stein wirft, gerät zunächst seine und bald auch die Welt seiner Frau aus den Fugen; beide werden auf Grundfragen der Existenz zurückgeworfen. Auf der anderen Seite wirft die unheilbare Krankheit seiner Ehefrau Atiq mit existentieller Wucht aus der Bahn.

Die von männlicher Gewalt dominierten Verhältnisse verbannen die Frauen in das letzte und einzige Refugium, ihr Heim, und so kreuzen sich die Schicksale der ungleichen Paare in Gestalt ihrer männlichen Teile zunächst an rein zufälligen Punkten, haben keinerlei Wirkung auf das Leben des jeweils anderen Paares. Mit Spannung erwartet der Leser den glänzend vorbereiteten und unausweichlichen Wendepunkt, der einen der Beteiligten als Madschnun, als an der Liebe irre Gewordenen zurücklassen wird. Die Vorstellungswelt der Taliban verweist die Liebe ins jenseitige Paradies, Yasmina Khadras orientalisches Märchen aber findet im Diesseits seine fatale Vollendung.

(Originaltitel: »Les hirondelles de Kaboul«)

5/2003 © by Janko Kozmus
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