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Rezension → Guido Morselli - Dissipatio humani generis oder die Einsamkeit

Karpinsky hilf!  

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Was kann ein Mensch tun, der sich zu töten versucht und feststellt, nicht ihm, allen anderen ist das Leben genommen? In einer zunächst noch intakten Welt bleibt das Überleben. Das Ausmaß der Verfügungsgewalt erregt Schwindel. Buchstäblich alles ist möglich. Gleichzeitig ist dem letzten Menschen alles verwehrt.

Heißhunger plündert Kühlschränke in Nobelhotels. Noch fließt der elektrische Strom. Der Videokunst wird die Straße zum Atelier. Die Verzweiflung der Einsamkeit beschwert Kaufhauspuppen an den Beinen und wirft sie in einen Swimmingpool. Und sich dazu.

Noch davor steht der Unglaube, die Fahndung nach lebenden Gegenbeweisen. In den Bergen auf der Suche und in urbanen Tälern, Anrufe in Übersee, in West und Ost, no response. Was bleibt, ist die schmerzhafte, immer intelligente Reflexion über die Menschheit. Die Menschheit jedoch, das ist er allein! Deren Gipfelpunkt und Ende. Die zwanghafte Wiederholung dieser Erkenntnis ist selbst dem Solipsismus zu viel!

Die Reflexion, der innere Monolog, das ist die Stärke von Guido Morselli. Er verlangt vom Leser viel, etwa rudimentäre Latein-, Englisch- und Französisch-Kenntnisse. Waren da nicht auch ein paar italienische Worte?! Dies sollte nicht abschrecken. Es lohnt die Mühe, unter Umständen in Wörterbüchern nachschlagen zu müssen. »Dissipatio humani generis« ist ein kurzer, dichter Roman, dessen mehrmalige Lektüre spannend bleibt. Als genösse man das Aufbrechen unseres schützenden Zivilisationspanzers durch die Natur, deren Gräser, deren Blumen Beton erweichen.

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Karpinsky hilf!
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Vielleicht besteht aber noch Hoffnung. Hat dieses verlorene Ich nicht eine Stimme gehört, den Ruf eines gewissen Karpinsky? In seinem Leben spielte der, während der Zeit einer Therapie, eine Nebenrolle. Es erinnert sich einer seltsamen Krankheit: Paramnesie. Erinnerung, bedeutet dies, an nie erlebte Dinge!
(Originaltitel: »Dissipatio H. G.«)

2/2002 © by Janko Kozmus

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