DIE MARABOUT-SEITE
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Chronik (1901-2019)

Zur Sozial- und Literaturgeschichte Afrikas * von innen und außen 

Tageschronik: 11. November 1999

 

· Die MARABOUT-SEITE zitiert aus Ägypten ·  


Die Cairo Times schreibt, Ahmed Taha sei eine der Persönlichkeiten der literarischen Szene, "über die am meisten geredet wird, was nicht notwendigerweise eine gute Sache für ihn ist". Seine Lyrik habe sich über Jahre entwickelt, vom patriotischen Werk seiner Jugend über den sozialen Kommentar bis hin zum lebendigen und doch introspektiven Werk des gegenwärtigen Jahrzehnts. Kürzliche Sammlungen umfassen Tawela 48 (Tafel 48), 1993 und Embratoriat El Hawaet (Das Imperium der Mauern) 1994, beide Bücher sind ins Englische übertragen worden. Es sind seine Streifzüge in das Schreiben, die den größten Widerspruch hervorgerufen haben. Taha, ein Soldat während des 73er-Krieges, sei wahrscheinlich der prominenteste etablierte Dichter, der eng mit der neuen Generation arbeite, die, als der Krieg mit Israel beendet war, älter wurde und die ihre Gleichgültigkeit was Politik und Nationalismus angeht, zur Schau stellte. Seine Arbeit mit dem Magazin Al Garad (Die Heuschrecken) provozierte Ausbrüche von Schock und Empörung von seinen älteren Kollegen, während seine redaktionelle Arbeit bei Al Qahirah sehr sauer geendet sei. Richard Woffenden sprach mit Ahmed Taha über die literarische Welt, "in der die Politik oder deren Abwesenheit oft wichtiger ist als die Lyrik".

Ahmed Taha war einst ein Marxist und ein Nationalist. Im Alter von 20 Jahren, während der Abnutzungskrieg in vollem Gange war, habe er sich gemeinsam mit einer Gruppe von Freunden zur Armee gemeldet. "Ich glaubte an Nasser und all das", sagt er. Er berichtet, dass sie geglaubt hätten, sie würden binnen eines Jahres entlassen werden. Aber sie wurden alle bis nach 1973 einbehalten und Taha sogar bis 1976.

Taha arbeitete als Fahrer, diente im Sinai während des 73er-Kampfes. Für eine kurze Zeit, gesteht er, war er gefangen von Ruhm und Erregung. Seine Lyrik - bis dahin meist romantischer Jugendstil, abgeleitet nach dem Vorbild von Nizar Qabbani - begann epische, historische Themen aufzunehmen, sie redete von dem Aufeinanderprallen der pharaonischen und israelitischen Armeen der Vergangenheit, veröffentlicht im Armeemagazin Al Nasr (Der Sieg). Aber bald, so berichtet er, sei es zu einer niederschmetternden Erfahrung geworden. Menschen seien links, rechts und im Zentrum gestorben. Vieles seiner Kriegslyrik habe er später verbrannt.

(...) Knapp 20 Jahre waren vergangen seit dem Fall des Monarchen und das Militär sei immer noch "ein großer Klassenkampf zwischen den Offizieren und den Männern" gewesen. Dinge verbesserten sich - die körperliche Züchtigung wurde abgeschafft -, aber die Soldaten hingen immer noch ab von der Gnade der "Unfähigkeiten der Oberschicht".

Als ein gebildeter Soldat war Taha für die Offiziersschulung vorgesehen. Aber als ein Shubra-Kid, ein Junge des großen bevölkerungsreichen Stadtteils Kairos, und als Trotzkist - zu jener Zeit, so Taha, sonderte man bei den Streitkräften potenzielle Subversive nicht wie heute aus -, wusste er, auf welcher Seite er stand. Jedes Mal, wenn man ihn zum Offizier machen wollte, schützte er irgend etwas vor. Er erinnert sich, dass eines Tages ein Offizier eine inspirierte Lektion an die Truppen gab: "Ihr seid die billigste Sache hier. Sogar die Zelte sind teurer als ihr." Taha erhob Widerspruch, wofür er eine Woche Bau bekam.

So viel zum Nationalismus, heißt es lapidar. Sein Marxismus habe ein wenig länger überdauert. "Es bedurfte ein Jahr Kantinenessen mit sowjetischen Militärberatern, um ihn auf seinen Weg des Apolitischen zu bringen. Er hatte sich vorgestellt, die UdSSR sei ein Kulturparadies, 'wo ein jeder las und man umsonst in die Oper gehen konnte. Statt dessen waren die Sowjets rückständiger als wir'".

Taha habe sich an seine Kunst gehalten, heißt es in dem Bericht weiter. Er gab einen halboffiziellen Literaturabend in seiner Wohnung in Kairo, sogar während er nahe der Front stationiert war, und "lieh" sich einen Militärtransporter, um hin und zurück zu kommen. Nach der Demobilisierung habe er mit der Arbeit für das Magazin Al Kaatib begonnen. Zu jener Zeit habe er in seinen Versen den sozialen Kommentar bevorzugt, was nicht daran hinderte, publiziert zu werden. Er schrieb auch Artikel in den Medien - inklusive einer berüchtigten Serie über konfessionsbedingte Zusammenstöße in dem Arbeiterbezirk von Al Zaweya Al Hamra. Er gab auch Interviews an Auslandsjournalisten zu diesem Thema, "etwas, das das Interesse des Staates auf sich zog".

1985 fand ein scharfes Durchgreifen gegen Kritiker des Staates, gegen Linke, Islamisten, wie auch Liberale statt. Taha, obschon nicht gerade politisch aktiv in jener Zeit, wurde herausgegriffen wie auch gelegentliche Besucher seines Literaturabends, wie der Romancier Ibrahim Abdel-Meguid. Die Autoritäten sagten, dass die Literaturabende in Wahrheit Treffen für subversive Aktivitäten seien. Er fand sich selbst für zwei Monate in einer Zelle wieder, zusammen mit 30 Möchtegern- revolutionären Marxisten, was, wie Ahmed Taha berichtet, "keine angenehme Erfahrung war. Sie hatten kein Interesse an Kultur und waren vollkommen abgeschnitten von der Gesellschaft. Sie waren besessen von ihren kleinen Geheimzellen."

Ahmed Taha wurde schließlich per Gerichtsurteil entlassen, aber seine Bücher und Skripte, die während des Arrests als Beweismittel konfisziert worden waren, seien nie mehr herausgegeben worden. "Sie haben alle meine Erinnerungen für nichts genommen", kommentiert er. Von diesem Verlust demoralisiert genauso wie von einer neu erworbenen Abscheu für linke Politik, welche einst seine Arbeit inspiriert hatte, hörte er zu schreiben auf. Als er erneut anfing, befasste sich seine Lyrik mehr mit seinen Erfahrungen und seinem persönlichen Leben als mit der Gesellschaft. Während der bittere Nachgeschmack, der nach seiner marxistischen Periode verblieb, ab und zu aufstieß, wurden zwischenmenschliche Beziehungen und der Mensch selbst zum Thema von Ahmed Tahas Arbeit. Seine Sammlung Tawela 48 zum Beispiel beinhaltet eine Vielfalt von Themen, wie seinen Körper, seine Begehren und Wünsche, und den Tod; er benutze die Sprache der Sufi-Mystiker.

Während dieser schwierigen Periode habe Taha den surrealistischen Philosophen Anwar Kamat im Zahrat Al Bustan-Café in der Innenstadt getroffen; trotz der generellen Kluft und den unterschiedlichen Philosophien wurden die beiden enge Freunde. Anwar Kamel war, gemeinsam mit George Henein, ein Führungsmitglied der ägyptischen Surrealistengruppe in den 1930ern. Taha selbst würde niemals einen surrealistischen Stil benutzen, um seine Ideen auszudrücken, aber er habe bemerkt, dass er einen Mann nicht imitieren musste, um ihn als Inspiration zu empfinden. "Er war einer jener Denker einer liberalen Zeit, und wenn ich mit ihm zusammen war, war ich immer in dieser Zeit, der Zeit vor Nasser", erinnert sich Taha. Die Freundschaft erlaubte es ihm, die regierungseigenen Verlagshäuser hinter sich zu lassen, da Anwar Kamel seine, Ahmed Tahas Lyrik in Form von Flugblättern veröffentlichte. Taha protokolliert seine Liebe und seinen Respekt in einem Gedichtzyklus, der "Das letzte Portrait von Anwar Kamel" heißt und 1994 in der Sammlung Embratoriat Al Hawaet (Das Imperium der Mauern) erschien, vieles davon sei ursprünglich in Kamels Pamphleten erschienen.

Ungefähr zur selben Zeit reiste der Ex-Marxist ins Herz des Kapitalismus. Taha lebte sieben Jahre in den Vereinigten Staaten als Arabisch-Dozent an der Universität von Chicago. Die Erfahrung habe ihn verjüngt, obwohl seine emotionale Bindung zu  Ägypten ihn 1993 zwang zurückzukehren. ... "Ich mag es nicht sehr, hier zu sein, aber ich kann auch nicht in den USA existieren."

Taha sah die Vereinigten Staaten kaum als ein Paradies an - er hatte jede Menge Begegnungen mit ignoranten Kleinstädtern und fand, dass die Amerikaner im Allgemeinen "wenig Vorstellung davon haben, was außerhalb ihres Landes vor sich geht". Jedoch habe er es erfrischend gefunden, Zeit mit Menschen zu verbringen, die nicht besessen waren von ihrem Glauben oder ihrer politischen Anschauung, und ihn dementsprechend in ihre Schubläden packten. "Ich denke, dass die Staaten eine sehr freie Gesellschaft sind, und sie haben ein hohes Niveau der Menschenrechte für solche, die Amerikaner sind. Dass du anerkannt wirst als ein Individuum, und nicht nur als ein Teil einer Gruppe. Es ist dort nicht vorstellbar, dass Menschen angeklagt werden, nur weil sie anders sind."

In den Staaten zu leben, gab ihm die Gelegenheit, eine neue Perspektive seiner Region und seines Landes zu gewinnen. "Das war wirklich das erste Mal, dass ich jüdische Menschen und Israelis traf und einige von ihnen wurden enge Freunde", erwähnt er stolz, sich im Klaren darüber, welchen Ärger solcherart Kommentare in manchen literarischen Kollegen hervorriefen. "Ich hatte meine Vorstellungen bereits durch Bücher geändert, aber in den USA wurde es durch die Menschen bestätigt." Tahas Beziehungen zu Israelis schlugen Wogen in diesem Sommer in den Medien, als er und der Dichter Huda Hussein eine mediterrane Literaturkonferenz in Lodave in Frankreich besuchten. Sie zogen es vor, die israelischen Delegierten der Konferenz nicht zu ignorieren, wie es andere ägyptische Dichter taten, sondern sich mit ihnen auszutauschen; sie sprachen mit den Israelis Amir Or und Rony Somek. Dies verursachte, wie vorausgesehen, "das Zähneknirschen in den Kulturseiten einiger Zeitungen", aber Taha sagt, dass das Heranwachsen in Shubra ihm ermöglicht habe, mit Menschen zu reden, welche andere als Todfeinde betrachteten. "Geboren in Shubra, verbrachte ich meine frühen Jahre in einer sehr multi-ethnischen Umgebung mit Armeniern, Griechen und Juden als unsere Nachbarn, so dass ich das Problem mit Rasse und Religion nicht habe, das die Gesellschaft umtreibt."

Während seiner Zeit in den Staaten habe Taha sporadisch Ägypten besucht, aber als er auf lange Sicht zurückkehrte, bemerkte er, dass die Dichter seiner Generation aufgehört hatten, sich weiter zu entwickeln und dass sie sich nicht verändern wollten. "Ich hörte auf an die Hauptrichtung von Ideologie und Werk innerhalb der ägyptischen Literatur zu glauben, so wandte ich mich etwas anderem zu", wird Taha von der Cairo Times zitiert. Dieses Andere sollte in dem Magazin Al Garad (Die Heuschrecken) entwickelt werden. Das Projekt beinhaltete, die Förderung von Dichtern und Künstlern, die Tabus gebrochen hatten, literarische wie sexuelle und, sagt Taha, "wir werden nicht sehr gut aufgenommen von der literarischen Elite". So gesellte sich der Außenseiter einer Generation zur Schar der Renegaten, die Poeten einschließt wie Huda Hussein, Mohamed Metwalli, Bahaa Awad, Mohamed Lashin und Maher Sabri. Das Magazin erhielt seinen Namen von der amerikanischen Literaturdozentin Clarissa Burt (die auch Tahas Übersetzerin ist), die äußerte, dass "die Poeten durch ihre Küche walzten wie eine Heuschreckenplage". Das entsprach Tahas Sinn für Humor und so blieb der Name hängen, um den ziemlich langweiligen nationalistischen oder literarischen Titeln zu entfliehen.

Anarchismus und weite Bandbreite von Stilen im Magazin verursachten eine Breitseite von Attacken in den Medien, die es als "amerikanisches Magazin von degeneriertem Inhalt" beschrieben. Aber Taha ist sicher, dass das größte Problem für die meisten "Kritiker" das Fehlen von Politik und Nationalismus ist. "Sie sind dieser Art von Kultur nicht gewachsen, wir haben immer noch kulturellen Totalitarismus." Auch von seinen Schützlingen erwarte Ahmed Taha keine ideologische Reinheit. Einige seiner Heuschrecken-Kinder hätten das Magazin als einen Weg in die kulturelle Bürokratie benutzt. "Sie sind in dieses Müll-System geraten. Ich werde darüber manchmal ein wenig traurig, aber ich kann damit umgehen", sagt er. "Ich war in der Lage ihre Frische einzufangen, als sie noch frisch war."

Taha hatte einen letzten Versuch mit dem "Müll-System" als er zu Beginn des Jahres angesprochen wurde, Redakteur beim renommierten staatseigenen Literaturkritikblatt Al Qahirah zu werden. Er habe den Job nicht gewollt, aber Samir Sarhan, der Chef der Allgemeinen Ägyptischen Buchorganisation, welche das Magazin herausbrachte, realisierte, dass Al Qahirah "gefährlich langweilig" geworden war und dachte Taha könnte die Dinge beleben. Das tat er. Nach nur fünf Ausgaben, die Themen wie Feminismus und postkoloniale Literatur abdeckten, schloss das Magazin. Die Leser errieten vielleicht, so die Cairo Times, dass nicht alles in Ordnung war, wenn zwei Leitartikler, einer war Taha, der andere der stellvertretende Chefredakteur Abdel Rahman Abu Ouf, zwei radikal unterschiedliche Standpunkte vertraten, Ausgabe für Ausgabe. Taha beschäftigte sich weiter mit kulturellen Themen und Abo Ouf attackierte Israel. "Unglücklicherweise war das Duell um die Seele des Magazins nicht auf das Papier begrenzt. Gerüchte drangen zu Taha, dass er ein amerikanischer Spion genannt worden war. Taha antwortete, indem er um Abu Oufs Schreibtisch schlich und diesen an den Füßen aufhängte. Die Affäre endete in der Polizeistation".

Seit damals sei Al Qahirah durch das Ministerium für Kultur umstrukturiert worden. Mittlerweile habe Ahmed Taha seine Aufmerksamkeit der vierten Ausgabe von Al Garad zugewandt, welche im nächsten Monat erscheinen wird. Die Ausgabe bringt sogar noch jüngere Schriftsteller - in den frühen Zwanzigern wie Adham Al Safti, die "Shopping Generation", wie er es ausdrückt. "Vielleicht nicht tiefgründig, aber sehr aufrichtig mit ihrer Erfahrung und sie wissen um die Außenseite der Welt", wird Ahmed Taha abschließend zitiert, Qualifikationen, welche ihm wichtiger seien als Politik, als Engagement für Nationalismus und als die Bereitschaft Abtrünnige zu verfolgen. · (Cairo Times, ÜEK: J.K.)

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Quelle:
Cairo Times, englischsprachige ägyptische Wochenzeitung

Anmerkungen:
* inkl. arabischer Raum
ÜEK: J.K. --> Aus dem Englischen übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus ©


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