DIE MARABOUT-SEITE
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Chronik (1901-2019)

Zur Sozial- und Literaturgeschichte Afrikas * von innen und außen 

Tageschronik: 8. Februar 2007

 

· Die MARABOUT-SEITE zitiert aus Ägypten ·  


Vom  "Ende der Ruhe" berichtet Mohamed El-Sayed für die englischsprachige Wochenzeitung Al-Ahram Weekly, vornehmlich aus Shebin Al-Kom, aber auch aus anderen Gegenden  Ägyptens.

Eine Welle "von beispiellosen Streiks durch aufgebrachte Arbeiter" sei in der vergangenen Woche über das Land geschwappt.

In der im Delta gelegenen Riesenfabrik, die zur Misr Shebin Al-Kom Spinning and Weaving Company (SSWC) gehört, herrsche eine verdrießliche Atmosphäre. Der Lärm der brüllenden Maschinen der 47 Jahre alten Fabrik habe aufgehört, nachdem jemand zum ersten Mal nach nahezu einem halben Jahrhundert die Aus-Taste gedrückt habe. Ahmed Gaber, ein loyaler Angestellter der Fabrik seit ihrer Einweihung 1960 durch Präsident Gamal Abdel-Nasser, habe fünf Tage neben der Maschine geschlafen, die er seit seiner Einstellung bedient hat.

"Gaber hat entschieden, heißt es in dem Bericht weiter, "sich den 4200 Mitarbeitern anzuschließen, die am 1. Februar in Streik gingen, um gegen die Weigerung der Gesellschaft zu protestieren, ihnen den Bonus für die vergangenen 7 Monate auszuzahlen." Die Arbeiter verlangten die Zahlung, bevor die Gesellschaft den Eigner wechsele und Eigentum der indischen Gesellschaft Indo Rama werde, die die Gesellschaft für die nächsten 25 Jahre für den Betrag von 125 Mio.  EGP besitzen würde. Eine weitere Forderung der Arbeiter sei der 45-Tage-Bonus, der ihnen vom Minister für Investment nach einem Streik im vergangenen Dezember versprochen worden war

Obwohl die Arbeiter glaubten, der Verkauf an den indischen Investor sei unter Wert erfolgt, da sich der wahre Firmenwert auf geschätzte 3 Milliarden EGP belaufe, begrüßten sie den Schritt zur Privatisierung, da es sich dabei um einen internationalen Trend handele. "Wir begrüßen den neuen Eigentümer, aber wir müssen unsere finanziellen Rechte erhalten", hieß es aus ihren Reihen.

Bis jetzt seien die einzigen Opfer drei Arbeiter, die ins Krankenhaus gebracht worden seien, nachdem sie fünf Nächte in klirrender Kälte auf dem Betriebsgelände der Firma verbracht hätten. "Aber der Ruf nach Streik drang am Sonntag bis zu den Fabrikarbeitern der Kafr Al-Dawwar Spinning and Weaving Company, als 11.000 Arbeiter sich dem Streik anschlossen, um gegen das Ausbleiben der Zahlung des besagten 45-Tage-Bonus zu protestieren". Zu den Forderungen der Arbeiter gehörten weitere Anreize, ein verbesserter Gesundheitsdienst, faire Arbeiterwahlen und der Rauschschmiss des Direktors der Gesellschaft.

Unterdessen seien Arbeiter der Cairo Poultry Company in einen zweitägigen Streik getreten, bis ihnen der zustehende Bonus zugestanden worden sei. "Arbeiter der Mansoura-Spain company", fährt der Autor mit seiner Aufzählung fort, "begannen am Samstag mit einem unbegrenzten Hungerstreik, um gegen Firmenverfehlungen im Zusammenhang mit Lohnzahlungen und der Behandlung der Angestellten im Krankheitsfall zu protestieren". Zudem behaupteten die Arbeiter, dass jedermann, der die Bezahlung fordere, bedroht würde.

Was die Situation in Shebin Al-Kom angehe, da stimmte der Leiter der Egyptian Workers' Union (ägypt. Arbeiter-Gewerkschaft) mit dem Vorsitzenden der SSWC Mohsen El-Gilany und Leiter von Spinning and Weaving Syndicate Said El-Gohary in der Samstagnacht überein, einen Scheck über 5,8 Mio. EGP auszustellen, um die Angestellten auszubezahlen, bevor Indo Rama die Firma übernehme. Die Arbeiter seien jedoch äußerst misstrauisch und äußerten Al-Ahram Weekly gegenüber, das Ganze sei "ein Trick, um die Arbeiter zu betrügen", bis sie die Gesellschaft an den indischen Investor übergeben haben würden.

"Gemäß Verkaufsvertrag halten die Arbeiter 12 % der Firmenanteile bevor die Firma an den indischen Investor verkauft wird". Jedoch hätten sie bis jetzt die Anteils-Dokumente nicht erhalten, heißt es einschränkend. Die Arbeiter beklagten, dass die meisten von ihnen mehr als 35 Jahre in der Firma gewesen seien und es sei ihre Arbeit, die diese aufgebaut habe. "Sie verlangen ihren prozentualen Anteil an den Firmananteilen".

Nach der Weigerung der Arbeiter, ihren Protest einzustellen, seien sie von El-Gohary beschuldigt worden, "Terroristen" zu sein und "die Firma sabotieren" zu wollen. Außerdem habe der Gewerkschaftshef Megawer "Interessengruppen innerhalb der Arbeiterreihen" ausgemacht, die "konspirieren, um die Firma zu zerstören". Dem hielten die Arbeiter entgegen, die Firma nicht sabotiert zu haben, da sie "die Quelle ihres Lebensunterhalts" darstelle. "Wir wollen die Fabrik intakt belassen, bis wir unsere Rechte erhalten", äußerte ein Arbeiter gegenüber Al-Ahram Weekly, "und es gibt keine politischen Beweggründe, die unseren Streik motivieren".

"Demütigung und schwierige Arbeitsbedingungen, schlechte Behandlung durch Vorgesetzte genauso gut wie niedrige Gehälter", resümiert der Autor des Berichts, hätten dazu geführt, dass die Arbeiter ihrem anschwellenden Ärger ein Ventil öffneten. "Ich habe 14 Jahre in der Firma verbracht und ich verdiene 400 EGP im Monat", wird Abdel-Hamid Saleh zitiert. "Die Rentenkosten belaufen sich auf 300 EGP, wie kann ich da meine Familie durchbringen?" Auch seine Kollegen hätten zornige Geschichten zu erzählen. Neue Kollegen hatten ein Dokument unterzeichnen müssen, in dem sie auf ihr Recht auf Lohnerhöhung, auf Freizeit und andere Vorteile verzichteten. Zudem sei es verboten, im firmeneigenen Klub Sport zu treiben, obwohl dafür ein monatlicher Betrag vom Lohn abgezogen werde und auch das Beten in der neuen firmeneigenen Moschee sei ihnen untersagt.

"Die Arbeiter beschuldigen Mitglieder ihres Gewerkschaftskommitees", heißt es schließlich, nicht für ihre Rechte einzutreten. "Kommiteemitglieder haben mit leitenden Angestellten der Firma konspiriert", behauptete ein Arbeiter. "Sie haben sich geweigert, sich uns anzuschließen und nun sitzen sie in Cafés und trinken Kaffee." · (Al-Ahram, ÜEK: J.K.)

Quelle:
Al-Ahram, ägypt. Wochenzeitung in arab. u. engl. Sprache (Al-Ahram)

Anmerkungen:
* inkl. arabischer Raum
ÜEK: J.K. --> Aus dem Englischen Übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus ©


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