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Machfus - Der Rausch
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Rezension: → Nagib Machfus - Der Rausch

Zwischen Lethargie und Ekstase

Der erst in diesem Sommer in deutscher Übersetzung erschienene Roman Der Rausch des ägyptischen Nobelpreisträgers entstand bereits Mitte der 60er Jahre, in einer Zeit des Aufbruchs, aber auch der allgemeinen Unruhe: Die Kubakrise war noch nicht vergessen und der Auslöser für die heiße Phase des Vietnamkriegs, der Tonkin-Zwischenfall, bereits provoziert. In Frankfurt wird über die Negative Dialektik doziert, und weltweit bereiten sich die Studenten darauf vor, den Widerspruch in die Straßen zu tragen. In Ägypten ist die Nasser-Euphorie der ersten Jahre verflogen. Mit einer neuen Verfassung und der gerade gegründeten Einheitspartei ASU will der große Staatslenker dem Sozialismus den Weg bahnen. Der traumatische Schock des verlorenen Sechstage-Kriegs gegen Israel, steht noch bevor. Vor diesem Hintergrund führt uns der Autor in den Warteraum einer Arztpraxis.

Mit dem typischen Symptombild einer Midlife-Crisis sucht der Protagonist Hilfe bei einem Arzt. Ausgerechnet er, der ehrgeizige und überaus erfolgreiche Jurist, klagt über Arbeitsunlust. Überhaupt hätten sich allgemeine Lustlosigkeit und Desinteresse seiner bemächtigt. Der Doktor, wie sich herausstellt ist es ein Freund aus Jugendzeiten, rät dem Riesen, wie dieser sich selbst nennt, erst einmal zu Gewichtsabnahme und Entspannung. Doch auch nach Durchführung dieser Maßnahmen fühlt der Protagonist, abgespeckt und vital, tiefe Unzufriedenheit in sich, diese rauschhafte Sehnsucht nach etwas Unbekanntem.

Kaum etwas vermag sein Interesse zu wecken, alles schmeckt schal, nichts ist ihm Anregung. Worin ließe sich ein Reiz entdecken? "Wie wär's mit einer Reise ins Weltall? Schwing dich auf die Wellen des Lichts, ihre Geschwindigkeit ist das einzig Gesicherte in diesem Sein, das keinen Halt bietet, das sich unaufhörlich verändert, das, vom Wahnsinn befallen, schwankt und bebt."

Es dauert nicht lange und der Gequälte, in jeder Hinsicht ein Mann seiner Zeit, versucht sein Glück mit der einen, dann der anderen Frau. Seine Familie - die Ehefrau, der er bisher immer ein vollendeter Gatte gewesen ist und auch seine heranwachsende Tochter, die er ins Vertrauen zu ziehen sucht, was jedoch nicht vollständig gelingen will - leidet darunter.

Ein enger Gefährte, noch aus alten, politisch aktiven Zeiten, steht immer mit seinem Rat zur Seite. Später stellt sich heraus, dass dieser Freund, Spaßmacher und zorniger Dichter, gemeinsam mit einem inzwischen Entlassenen und dem Protagonisten Omar in der Vergangenheit ein Trio gebildet hatte, das einer politischen Tat wegen verfolgt worden war. Welcher Art diese Tat war, erklärt Nagib Machfus nicht. Sie erscheint dem Leser wie dem Protagonisten entrückt, herübergeweht aus einer anderen Ära. Klar ist nur, dass der Haftentlassene für seine Kameraden mitgebüßt, diese während der langen Haftzeit nicht verraten hat. Vor allem bei Omar spürt der Leser eine Gewissensregung. Der daraus resultierende Umgang mit dem Exgenossen, die Versuche einer herzlichen Aufnahme in den erweiterten familiären Kreis, verbleibt auf der Oberfläche der Pflichterfüllung. Sie fällt zusammen mit der allgemeinen Erstarrung des Protagonisten, vermag ihn nicht daraus zu befreien.

Im Gegensatz zu den großen Gesellschaftsentwürfen von Nagib Machfus in Romanen wie Die Midaq-Gasse oder vor allem in der Kairo-Trilogie Die Schatten der Paläste stellt das Buch Der Rausch das Individuum in den Mittelpunkt. Es steht dem in derselben Zeit entstandenen und kaum bekannten, thematisch verwandten Roman Das Hausboot am Nil zur Seite. Die Beschreibung der Vereinzelung des Menschen zeugt ebenso vom bestechenden Einfühlungsvermögen des Autors wie die Gestaltung der Unsicherheiten, der verzweifelten Bemühungen, einen ganz persönlichen Stellenwert zu finden in der urbanen Anonymität. Eine Rastlosigkeit, die nur lose verankert ist in Raum und Zeit. Überall könnte sie sich ausgebreitet haben, sicher auch in westlichen Ländern Mitte der 60er Jahre. Sie erscheint weder feindlich noch freundlich, sie bleibt distanziert. Indifferenz drängt sich auf als die adäquate Form ihrer Wahrnehmung.

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Zwischen Lethargie und Ekstase

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Heute scheint Ägyptens Innenpolitik in dem Versuch, dem islamistischen Drängen Herr zu werden ohne die Werte des Islam aufzugeben, in Stagnation zu verharren. Hierzulande feiern wir, während wir ein Gähnen unterdrücken, aber ohne zu widersprechen, den 100. Geburtstag des Philosophen des Widerspruchs. Wie dieser verzichtet auch Nagib Machfus in seinem Roman Der Rausch auf die Synthese. Er bleibt in der Beschreibung des Zustands der Verweigerung seines Protagonisten stecken. Zugegebenermaßen tut er dies in vollendeter Form. Die Sprache ist einfach und in ihrem Verzicht auf wirkungsvolle Effekte verbindlich, jedoch - wie das obige Zitat zeigt - noch dem Zeitgeist verpflichtet. Auf die Gefahr hin, die vielschichtig gezeichnete Persönlichkeit zu verkennen, könnte man Omars psychische Konstitution, sein Wanken zwischen vernunftenthobenem Tun und der ans Pathologische grenzenden Passivität, Politikverdrossenheit nennen, mindestens aber eine solche als mitverursachend für sein Befinden festmachen. Ein beunruhigender Zustand.

(Originaltitel: »Al-Shahhad«)

9/2003 © by Janko Kozmus

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