"Ein
Gefühl für nationale Identität"
"Die
Zwangsvertreibung der Nubier wird erneut thematisiert",
schreibt Rania Khallaf für die halbamtliche Tageszeitung
Al-Ahram aus → Ägypten,
"dieses Mal auf der Bühne".
Vor
etwa zwei Jahren habe der Romancier Haggag Odoul einen unabhängigen
nubischen Staat gefordert, eine bis dahin nicht dagewesene
Forderung, die selbst den meisten sympathisierenden Nicht-Nubiern
aufgestoßen sei, ein Thema, das immer wieder hochgekommen
sei, weil der größte Teil Nubiens durch den Bau des Assuan-Staudamms
überflutet wurde. Vieles vom antiken Erbe sei gerettet, die
Nubier umgesiedelt worden, aber ein Gefühl von verlorener
Identität, das wahrscheinlich zurückdatiert zu den Fehden
zwischen den alten Königreichen von Ober- und Unterägypten,
habe die Nubier ständig begleitet, unter ihnen Schriftsteller
und Künstler.
Letzte
Woche sei das Thema im Hanager-Theater in weit ruhigeren Tönen
als Nubia.com neu formuliert worden - ein Stück, basierend
auf drei Romanen von Idris Ali, verfasst von Hazem Shehata,
eines von vielen jungen Talenten, die im Beni Suef- Theater
vor zwei Jahren getötet worden waren*,
und inszeniert von Nasser Abdell-Moniem. Das Stück habe mit
einer sehr überzeugenden nubischen Hochzeitsprozession begonnen,
die Frauen in bunten Kleidern, Männer in weißen Roben, begleitet
von afrikanischen Rhythmen.
Dies
schien angemessen, berücksichtigte man die Wurzeln des Stückes
in der modernen nubischen Literatur, die Idris Ali' Vorstellung
inspiriert hatte. Dongola, einer der drei Romane - eine Art
Trilogie, die drei Generationen von Nubiern vor und nach dem
Dammbau umfasst - war das erste Buch eines Nubiers, das ins
Englische übersetzt wurde und 1997 den Arkansas Press Award
für eine Übersetzung arabischer Literatur erhielt, schreibt
Rania Khallaf und geht im Weiteren auf die Entwicklung nubisch-arabischer
Literatur ein, die mit dem Lyriker Mohamed Abdel-Rehim Idris,
dessen
→
Diwan
1948 erschien, ihren Anfang genommen habe, gefolgt von Mohamed
Khalil Qassems Roman Shamandoura im Jahre 1964. Idris
Ali präsentiere eine organische Erweiterung von Qassems Werk,
indem das Stück die Zwangsumsiedlung der Nubier in den 50er
Jahren behandele. Es beinhalte eine Debatte zwischen Ghada,
deren Vater eine Kairoerin heiratete, und Simone, einer Französin,
die einst einem in Nubien arbeitenden britischen Archäologen
vermählt wurde, die in einer "angemessen unparteiischen Perspektive
den nubischen Nationalismus betreffend" einmünde. Nach Odouls
Adaptation von People of the River sei dies das erste
Stück über Nubien, das seinen Weg auf die ägyptische Bühne
finde, "ein willkommenes Angebot".
Bühnenfassungen
von Romanen scheinen eine Modeerscheinung zu sein, stellt
Rania Khallaf fest, wie beispielsweise die in diesem Sommer
anstehende Premiere von Sonallah Ibrahims The Committee
im Nationaltheater. Abdel-Moniem habe bei verschiedenen Stücken
Regie geführt, die auf literarischen Werken basierten, einschließlich
der Romane des verstorbenen Abdel-Hakeem Qassem und des ebenfalls
verstorbenen Yehia El-Taher Abdallah. Er, Abdel-Moniem, empfinde
es als gegenwärtigen Trend und füge hinzu, dass "'der Reichtum
und die Originalität' nubischer Literatur einen Weg heraus
aus den vorgefertigten Schemata aufzeigt, die sich häufig
in den Tentakeln des Kommerzialismus verfangen". Reflektiert
dies das Fehlen eines soliden Skripts? frage er. "Genau",
erwidere Nasser scharf. "Das Schreiben für die Bühne ist interaktiv,
was es schwieriger macht als jedes andere. Es benötigt Begabungen,
die anscheinend heutzutage nicht aufzufinden sind." Es könne
argumentiert werden, dass die Sehnsucht nach einer verlorenen
Heimat - das einzige Thema nubischer Literatur - jedoch genauso
vorgefertigt sei wie jede andere. "Ist sie wirklich geeignet
für zeitgenössisches Theater?" Betrachte man das Stück, so
stelle sich die angenehme Überraschung ein, dass dem so ist.
Das
Stück beginne mit dem Protagonisten Awad Shalalie (Osama Abdel-Moniem,
der auch den Führer in People of the River spielte),
der seine gerade fertig gestellte Seite Nubia.com aufrufe,
welche einen Bericht seines Lebens beinhalte, mit Bildern
von traditionell geschmückten nubischen Häusern. Die Webseiten
erschienen auf einer großen Leinwand, ein Kommentar spreche
von Heimatlosigkeit und von 44 Dörfern die im Lake Nasser
versunken seien. Awad errege Belustigung beim Assuan-Regierungsvertreter,
indem er die Diskrepanz anspreche zwischen dem, was der Damm
an ökonomischen Wachstum für alle Ägypter versprochen habe
und der freudlosen Wirklichkeit, die er den Nubiern bringe.
"Der Schauspieler war brillant im Beibehalten eines eindringlichen,
leicht selbstspöttischem Sinns für Humor - eine für Nubier
charakteristische Haltung". Ein anderer Aspekt "südlicher
Kultur" sei in den Vordergrund getreten, als Ghada die Dorfmädchen
das Alphabet lehrte: jeder Buchstabe markierte ein Liebeslied.
Awads Beziehung zu Simone, die in einer Heirat münde, sei
im Buch viel besser portraitiert, urteilt die Verfasserin
des Artikels, obschon die Körpersprache während des Vortrags
auf der Bühne einiges vom Verlust der Tiefe wettmache. Die
Liebesszene sei wunderschön choreografiert, und als Simone
sich zu Awad dreht und sagt, "Ich habe drei Nationalitäten:
Französisch, Englisch und Ägyptisch, welche hast du?" strahle
die Frage eine bemerkenswerte Kraft auf das Publikum aus.
In anrührender Weise führe sie erneut die Frage nach der Identität
ein.
Der
Nord-Süd-Dialog werde auf vielen Ebenen wiederholt, mit einer
Mischung von traditionell nubischer, ägyptischer und westlicher
Musik. "Alle drei Romane haben dazu etwas beizutragen, aber
die eigentliche Handlung werde getragen von dem Roman "Playing
on the Nubian Mountaintops" (2005), in dem die Krise in weniger
ausschließenden Begriffen dargestellt werde als bei Odoul.
Laut Idris Ali sei Nubien in diesem Stück kein Märchen. Im
Gegenteil, "die Realitäten des nubischen Lebens, ihre Aspirationen
und die neue Selbst-Wahrnehmung, mit der sie sich für die
Zukunft wappnen, darum geht es." Der Tag, an dem das Dorf
evakuiert werde, gehöre zu den beeindruckendsten Szenen, schreibt
Rania Khallaf anerkennend, mit der Weigerung des Großvaters,
sich wegzurühren, mit der bitteren Ironie, mit der ihm versichert
werde, der Himmel erwarte ihn in Komumbu: fließendes Wasser,
Elektrizität usw. Doch bald beklagen sich die um Awad herum
versammelten Dörfler über den Mangel: "Sieh, Awad, der Nil
ist verschwunden!" Und so ende es, dramatisch. Und schon beteuere
Awad, einst engstirnig und ethnozentrisch, die ultimative
Integrität des Nordens und des Südens. ·
(Al-Ahram,
ÜEK:
J.K.)
Quelle:
Al-Ahram,
ägypt. Wochenzeitung in arab. u. engl. Sprache (Al-Ahram)
Anmerkungen:
*
inkl. arabischer Raum
** Anfang September 2005 wurde während
einer Theatervorstellung in Beni Suef eine brennende Kerze
umgestoßen. Die leicht entzündbaren Requisiten auf der Bühne
fingen schnell Feuer und erfassten die Vorhänge. Bei der anschließenden
Massenpanik wurde ein Ausgang verstopft, der zweite war mit
Requisiten verstellt. 32 Besucher starben noch im Theater,
18 weitere erlagen den Verletzungsfolgen.
ÜEK: J.K. --> Aus
dem Englischen Übersetzt und kommentiert: Janko Kozmus © |