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Rezension: → Patrice Nganang - Zeit der Pflaumen

Eine Axt namens de Gaulle

Zeit der Pflaumen, zweiter Teil der historischen Kamerun-Trilogie von Patrice Nganang

Viel ist vom Krieg die Rede in dem Buch Zeit der Pflaumen, doch handelt es sich hierbei keineswegs um einen Kriegs-, sondern um einen historischen Roman. Schauplatz ist Kamerun und die weitere Region, bis in die heutigen Länder Libyen und Tschad hinein. Zum Zeitpunkt des Einsetzens der Romanhandlung im Jahre 1940, im August, wenn die afrikanische Pflaume geerntet wird, ist das ehemals unter deutscher Schutzherrschaft stehende Kamerun längst keine Kolonie mehr. Es wurde 1919 in den Versailler Verträgen offiziell an den Völkerbund übergeben, der seinerseits das Mandat für die Verwaltung an Großbritannien und Frankreich weitergab, wobei der weitaus größere Teil unter französischen Einfluss geriet. Zeit der Pflaumen ist nach Der Schatten des Sultans der zweite Teil einer Trilogie, die laut Aussage des französisch schreibenden Autors Patrice Nganang das Fehlen Kameruns und ganz Afrikas auf der historischen Weltkarte beheben helfen soll.

Zunächst wird der Leser jedoch in die vermeintliche Beschaulichkeit des Dorfes Edea geführt. Nach dreijähriger Abwesenheit ist die Hauptfigur mit historischem Background, der Sohn eines Sehers, im bürgerlichen Beruf Schreiber und Übersetzer in französischen Diensten, in seinen Heimatort zurückgekehrt: Pouka der Poet. Beseelt von einem Sendungsbewusstsein ruft er gleich zu Romanbeginn eine Dichtergruppe ins Leben, die sich an der für ihn unvergleichlichen französischen Dichtkunst erbaut und orientiert. Ein Unterfangen, das sich recht schwierig gestaltet, da die sich freiwillig Meldenden kaum geeignet scheinen. Viele hat die vermeintliche Aussicht auf einen Job angezogen, vielleicht war es auch der örtliche Treff, in der Dorfkneipe, wo die Chefin Mininga den Umfang der Dienste ihrer "Serviererinnen" sehr weit definiert. Sie ist eine von mehreren Frauen in Edea mit großem Einfluss.

Kaum hat Pouka erste Erfolge in seiner pädagogisch-poetischen Arbeit zu verzeichnen, als sich nicht nur er selbst, sondern auch etliche seiner Schüler und Freunde, darunter sein geliebter Cousin Hebga, der Muskelmann und Holzfäller, von einem plötzlich auftauchenden französischen Militär anwerben lassen, um gegen Hitler und seine Verbündeten, insbesondere die Italiener, in den Krieg zu ziehen. Der Handlungsraum weitet sich, der Leser darf die Truppe nach Jaunde begleiten, wo diese – im Einsatz für das Freie Frankreich – den örtlichen französischen Verwaltungapparat, Repräsentant des besetzten faschistischen Frankreichs, hinwegfegt und ersetzt. Pouka dichtet ein Loblied auf dieses Ereignis und steigt zu lokaler Größe auf, nachdem sein Poem im Radio gesendet worden ist. Seine Dienste als Übersetzer werden auch in der neuen Administration gebraucht, doch seine Verherrlichung der Grande Nation, zu deren Befreiung ein erster Schritt getan ist, stößt auch auf Kritik, sogar unter seinen Freunden. Sie stammen zum Teil ebenfalls aus Edea und gehören allesamt der Bildungsschicht an. Sie diskutieren die Strategie und Taktik eines gewissen General de Gaulle. Der hat nämlich jenen Truppenchef, mit Namen Leclerc, losgeschickt, um den Befreiungskampf für Frankreich von Afrika aus zu beginnen und dadurch faktisch den Mandats-Status von Kamerun ausgehebelt und das Land zur Kolonie gemacht. Der Leser verlässt den Debattierclub und lässt sich – gemeinsam mit der ahnungslosen Truppe – den Saharasand um die Ohren wehen. Noch hält die Begeisterung an: Einer der Schützen benennt sich in Charles um, der Kraftprotz Hebga hat seiner Axt einen symbolisch aussagekräftigen Namen verpasst.

Von diesem Punkt an wechselt die Handlung zwischen drei Schauplätzen: Jaunde, Edea und der Wüste, durch welche die allmählich anwachsende Truppe zieht. Je nachdem, ob die Schützen aus dem Senegal dazustoßen oder aus dem Tschad, aus Gabun oder eben aus Kamerun, werden sie echte oder unechte Senegalschützen genannt, die sog. Tirailleurs sénégalais.

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DER SCHATTEN DES SULTANS
Erster Teil der historischen
Kamerun-Trilogie

Soweit der Rahmen entlang der politisch-historischen Grundlinien, gesetzt vom 1970 in Jaunde geborenen Historiker Nganang. Lebendigkeit und Frische erhält die Geschichte selbstverständlich einmal aus der Art und Weise wie der Schrifsteller Nganang als Ich-Erzähler diese pointiert. Die "Stimme aus dem Off", wie er sie selbst nennt, kommt mal schnoddrig daher, ohne Rücksicht auf Konvention und gute Sitten; es ist vom "Kacken" und "Ficken" die Rede, dann wird sie wieder seriös und präzise, aber auch lakonisch, wenn sie sich in – durchaus begrenzten – historischen Exkursen ergeht oder wird einschmeichelnd, wenn sie den "geneigten Leser" anspricht. Zum anderen sind es die Figuren, die der Erzähler zu Wort kommen lässt, die dem Roman Leben einhauchen. Sie stehen in einem komplexen Beziehungsgeflecht zueinander. Ihr Alltag wird durch den Krieg, genauer: durch das plötzliche Auftauchen der Tirailleure kompliziert; zusätzliche Anfechtungen und Gefahren ergeben sich, bestehende Interessen werden behindert, neue entstehen, werden gefördert. Eine Frau wird vergewaltigt, eine andere wird ermordet, der Täter wird erst ganz am Ende entlarvt. Doch nicht nur als Opfer werden die Frauen dargestellt, starke, die Initiative ergreifende Persönlichkeiten wissen sich durchzusetzen. Ob als Bordellbesitzerin, Ehefrau oder als Organisatorin und Chefin des Marktes, sie spielen eine bedeutende Rolle. Eine der schönsten Szenen des Romans ist die Beschreibung des Fischens von Welsen, das zu einem Ritual gerät zu Ehren der neuen Marktchefin, die lächelnd und in gebührendem Abstand das Treiben genießt.

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Eine Axt namens de Gaulle

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Doch das letzte Wort – wie könnte es anders sein?! – gilt dem Krieg. Hebga, der ehemals axtschwingende Lieblingssoldat seines Kommandanten, trägt inzwischen statt jener archaischen Waffe, die er ehrfurchtsvoll "de Gaulle" getauft hatte, ein erbeutetes Gewehr. Die neue Bewaffnung passt sicher besser zu seinen Träumen, in denen er sich wie etliche seiner Kameraden stolz in Paris einmarschieren sieht, um sich feiern zu lassen. Möglicherweise stellt die geringe Wahrscheinlichkeit, dass ein einfacher, zumal schwarzer Schütze das gegenseitige Abschlachten überlebt, einen Gnadenakt dar, sonst würde er vielleicht noch miterleben, dass die Senegalschützen von den Siegesmärschen in Paris verschont bleiben.
Ein gewisser General wird sich als mitfühlend erweisen, indem er erklären wird, dass das nördliche Klima den afrikanischen Soldaten nicht zuzumuten sei.

(Originaltitel: La saison des prunes)

12/2014 © by Janko Kozmus

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