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Rezension: → Gillian Slovo - Roter Staub

Wahrheit ist nur ein Wort

Der Roman Roter Staub über den Umgang mit Südafrikas Vergangenheit

Von Manfred Loimeier (©)

So recht kennt man sie nicht, aber irgendwie kennt man sie doch: die südafrikanische Schriftstellerin Gillian Slovo. Acht Krimis - vier davon erschienen in deutscher Übersetzung - und eine Familiensaga hat Slovo bisher veröffentlicht, dazu eine Autobiografie, die in Großbritannien die Bestsellerlisten stürmte. Gillian Slovo ist nämlich eine von drei Töchtern der weißen, südafrikanischen, kommunistischen Freiheitskämpfer und Bürgerrechtler Ruth First und Joe Slovo. Ihr Vater Joe arbeitete nach der politischen Wende am Kap der Guten Hoffnung bis zu seinem Tod als Siedlungsminister in Mandelas Regierung, während ihre Mutter schon vor fast zwanzig Jahren einem Attentat durch den südafrikanischen Geheimdienst zum Opfer fiel. Gillian Slovos Schwester Shawn schrieb darüber das Drehbuch für den Kinofilm A World Apart, der mit Barbara Hershey in der Hauptrolle auch hier zu Lande für Ergriffenheit sorgte.

Gillian Slovos neuer Roman Roter Staub* ist nun weder Familiensaga noch Autobiografie oder Kriminalroman, obwohl das Buch in seiner Dramaturgie nicht wenige Elemente aus dem Krimigenre enthält; zudem weist es - vor allem zu seinem Finale hin - sogar triviale Liebesroman-Motive auf. Gleichwohl ist Roter Staub kein schlechtes Buch, sondern vielmehr ein professionell geschriebenes, ein spannend zu lesendes Werk über die Arbeit der Wahrheitskommission in  Südafrika.

Um es gleich zu verraten: Slovo vertritt in ihrem Buch nicht die Meinung, dass tatsächlich die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit ans Tageslicht der Öffentlichkeit treten wird. Derlei zu erwarten beruhe auf einer Illusion, verdeutlicht die Autorin in den psychologisch sehr gut ausgeleuchteten Handlungsmotiven ihrer sechs Hauptfiguren. Das sind der alte James Sizela, der endlich die vermisste Leiche seines Sohnes begraben will; der alternde Rechtsanwalt Ben Hoffman, der Sizela zur Seite steht und an Gillian Slovos Vater erinnert; die Rechtsanwältin Sarah Barcant, die auf Hoffmans Drängen hin aus New York in ihre Heimat, die südafrikanische Provinz zurückkehrt; Alex Mpondo, ein ANC-Parlamentarier, der sich seiner Vergangenheit zu stellen und sich seiner Folter schrittweise zu erinnern lernen muss; Dirk Hendricks, Mpondos Folterer und ein früherer Elitepolizist des Apartheidregimes, der sich vor der Wahrheitskommission reinwaschen will; und schließlich Hendricks Kollege und Freund Pieter Muller, der zuletzt bekennen muss, Steve Sizela, den Sohn von James und Freund von Alex, in der Haft getötet zu haben.

Slovo legt ihren Roman wie ein Drehbuch zu einem Justizthriller an: Stark in den Dialogen und den Verhörszenen vor Gericht, anschaulich in den Schilderungen der südafrikanischen Landschaft; dazu eine klare Typisierung der Figuren und schließlich ein Happy-End, allerdings ein etwas allzu idealisierendes. Auch fehlt es den Figuren an Charaktertiefe, sind sie doch ganz oberflächlich in Gut und Böse unterteilt.

Besser, richtig gut ist Slovos Buch Roter Staub in den Passagen, in denen die Autorin der psychischen Verfassung ihrer Protagonisten nachgeht, die Traumata und Verdrängungsmechanismen durchscheinen lässt. So einfühlsam und unnachgiebig, wie Slovo die in der Haft zwangsweise gewachsene Vertrautheit zwischen Hendricks und dessen Folteropfer Mpondo nachspürt, sie in Blicken, Gesten und im Tonfall der Stimmen kenntlich macht, das hat neben der medizinisch-klinischen eine berührend tragisch-menschliche Dimension, die von Slovo eben äußerst präzise und bewegend herausgearbeitet wird.

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Gillian Slovo

Stark ist das Buch auch in seinem Aufbau, in seiner zeilengenau getimten Dramatik, die inhaltlich dadurch unterstützt wird, dass im Beziehungsgeflecht zwischen Täter und Opfer, zwischen Schuld und Unschuld, Verantwortung und Hörigkeit, Macht und Widerstand zunehmend die Grenzen verschwimmen - wie auch die Maßstäbe zur Beurteilung des geschilderten Falls. Zuletzt zieht darüber der Nebel des Zweifelhaften, aus dem allein - und hier wird das Buch banal - das persönliche Wahrheitsempfinden herauszuführen vermag. Die objektive Wahrheit mit all ihren Details wird durch die Kommission nie an den Tag kommen, legt Slovo ihrer Leserschaft als Interpretation ihres Buchs unverkennbar ans Herz, aber auch, dass die Verhandlungen wenigstens das Gesprächsforum schaffen, auf dem die Grundlagen für ein neues Miteinander errichtet werden können.

Gillian Slovo: Roter Staub. Aus dem Englischen von Uda Strätling. Antje Kunstmann Verlag, München 2001. 333 S.

(Originaltitel: Red Dust)

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* Diese Resension wurde 2001 verfasst , für die Marabout-Seite übernommen 11/2003  
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