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Rezension: → Aminatta Forna - Abies Steine

Ein Paradies von Frauenhand

Von Sabine Adatepe ©

Als vor Jahrhunderten Europäer Afrika "entdeckten", glaubten sie sich im Paradies, wie eine afrikanische Legende erzählt. Doch dieses war nicht, wie sie annahmen, von Gott erschaffen, sondern von Frauenhand. Die "afrikanische Sichtweise" - darum geht es Aminatta Forna, die sich selbst als "crosscultural writer" bezeichnet, in ihren bislang zwei Büchern über Sierra Leone, das Land ihres Vaters und Teil ihrer Kindheit. War in der autobiographisch motivierten Dokumentation Tanz mit dem Teufel ihr Anliegen noch, die wahre und ganze Geschichte ihres Vaters zu erfahren und im Sinne eigener Identitätsbildung und Positionierung vor allem für sich selbst aufzuarbeiten, mischt Abies Steine sich unmittelbar emotional in Geschichte und Gesellschaft des Landes ein. Und zwar explizit aus der Sicht der Frauen, da, laut Forna, speziell in ihrem Leben Politisches und Persönliches sich extrem vermischen. Stellt Abie am Ende fest: "Ich war keine Fremde mehr. Ich wusste, wie ich in all das hineinpasste", rückt Forna jedoch auch in diesem zweiten Buch erneut den Drang nach Selbstfindung im sozialhistorischen Rahmen in den Vordergrund.

Wieder waren Erzählungen in der eigenen Familie Auslöser für die Recherchen zum Buch: Eine ältere Tante berichtete von Fornas Urgroßeltern - Geschichten, die die Jüngeren nie gehört hatten. Abie, die schottisch-leonische Ich-Erzählerin, kommt auf Bitten ihres Cousins Alpha ins Land, um sich um den Erhalt der familieneigenen Kaffeeplantage zu kümmern, bringt dann aber hauptsächlich die Frauen der Familie zum Reden. Forna selbst unterhält eine Plantage mit Cashewnüssen und eine Schule im Dorf ihres Vaters. Auch das engagierte Interesse am Leben der Frauen, gepaart mit der Ungeduld der europäisch akkulturierten halb-afrikanischen Tochter, ist Autorin und Ich-Erzählerin gemeinsam.

Abie erbt Steine - die Steine der Ahnen, die Mariamas Mutter über die Zukunft befragte, bevor ihr der "heidnische Kult" im Zuge der Islamisierung zum Verhängnis wurde. Die Älteste in dem Zyklus der vier Frauen, die mit ihren Erinnerungen rund achtzig Jahre abdecken, ist Asana. Sie entsinnt sich, wie sie als kleines Kind mit der Familie, der junge, doch schon respektierte Vater vorneweg, an den späteren Ort der Kaffeeplantage in den Urwald zog. Nach zwei traditionellen Ehen arriviert sie als patente Textilhändlerin und überlebt den grausamen Bürgerkrieg versteckt in der Mitgifttruhe ihrer Mutter. Mariama, aus der Zeitspanne 1931-1999 berichtend, erlebt einen schwierigen Prozess der Emanzipation, besucht eine Missionsschule, geht als erste auch ins Ausland und arbeitet früh bewusst an Identitätsfragen. Es folgt Hawa, die Kauzige, Hässliche, deren junge Mutter die Lieblingsfrau des Vaters war, die sich nicht mit der Zwangssterilisation abfinden kann. Serah schließlich, die Jüngste, ist Wahlhelferin in einer Wahl, die sie nicht versteht, bevor sie den Schritt in die Migration erfolgreich absolviert, Forna nennt ihre Generation die "Sex and the City"-Girls. Modern, verheiratet mit dem selbstgewählten Ehemann, holt der Druck der patriarchalisch strukturierten Öffentlichkeit bei der Rückkehr nach Sierra Leone sie dann aber doch ein. Nach der Trennung beginnt sie ein neues, selbstbestimmtes Leben und sieht, wie das Land in die Katastrophe geht. Als sie nach dem Bürgerkrieg wieder Wahlhelferin ist, weiß sie, wofür sie kämpft. Mit ihren vier plus eins Ich-Erzählerinnen, die Tanten plus Abie, zeichnet Forna schlaglichtartig mit viel Empathie die soziale Transformation afrikanischer Gesellschaften nach.

Den inneren Zusammenhalt der vielschichtigen Erzählungen bildet das Familiengeflecht: Alle vier Frauen haben denselben Vater, erleben ihn und ihre Kindheit jedoch, abhängig von Zeit und Stellung ihrer Mütter im polygamen Clan höchst unterschiedlich. Sie berichten jeweils aus Kindheit, Jugend, jungem Erwachsenenalter und reifem Frausein, wobei die Abschnitte chronologisch so geordnet sind, dass jeweils alle Vier zu Wort kommen, bevor die nächste Phase anbricht. Der gebrochene Erzählfluss verschärft allerdings noch den Mangel an persönlicher Färbung der Stimmen der vier Frauen, die als höchst unterschiedliche Charaktere mit jeweils anderer Geschichte dargestellt werden, dies jedoch nicht aus der ihnen in den Mund gelegten Erzählweise erkennen lassen. War hier die akribische Journalistin Forna der fantasievollen Schriftstellerin im Weg, die es sich zur Aufgabe machte, Gefühlen, Hoffnungen und Enttäuschungen der Frauen ihres Landes Ausdruck zu verleihen?

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Ein Paradies ...

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"Früher wurde ich gefragt, wie es ist, zwischen zwei Kulturen zu leben - heute wird nach Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen gefragt und wie der Dialog funktioniert", berichtet Forna, die Englisch schreibt, auch weil sie Temne, die Sprache ihres Vaters, erst lernen musste. Ihren britischen Verleger überredete sie in einer Weinlaune, unentgeltlich allen Kindern an "ihrer" Schule im Dorf Harry Potter zu liefern. Mittlerweile besuchen im Dorf alle im schulpflichtigen Alter die von Forna mit starkem persönlichen Engagement geförderte Schule. Wie werden die lernbegierigen Mädchen und Jungen eine Erzählung voller Magie aus dem vorgeblich so nüchtern-rationalen England aufnehmen, wo doch das Klischee Afrika als Hort der Magie beschreibt, fragte Forna sich. Noch gibt es keine Buchhandlungen, keine Verlage in Sierra Leone. Ein ins Land gebrachtes Buch geht von Hand zu Hand, wird immer wieder vorgelesen. Auch für Forna ist Englisch, wortwörtlich ihre Muttersprache, nicht die "Sprache der Kolonisatoren", wie vor allem gut meinende Europäer immer wieder unterstellten, sondern Lingua franca, Hauptkommunikationsmittel in einem Land mit elf nur unzulänglich verschriftlichten Regionalsprachen. Im Dialog des Vorlesens mit lebendigen Kommentaren der Zuhörerinnen finden Aminatta Fornas vier Frauen aus Abies Steine möglicherweise erst ihr jeweils eigenes Timbre. Am Ende ist es nicht Abie, die den Steinen lauscht, sondern ihre Tochter: "Es klingt so, als würden sie sprechen." Der Autorin, die als Kandidatin für einen der nächsten LiBeraturpreise gehandelt wird, bleibt zu wünschen, dass es ihr gelinge, autobio- und geographische Fesseln literarisch zu sprengen.

(Originaltitel: Ancestor Stones)

05/2008

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Weitere Texte von Sabine Adatepe, der Autorin der vorliegenden Rezension, finden sich hier:

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